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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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geblieben und zog angewidert eine Grimasse. Offenbar hatte er auch schon einen Blick riskiert. Er hatte recht gehabt, es sah aus wie eine Mumie. Von allen Dingen dieser Welt – ausgerechnet eine Mumie. Eine antike Mumie? Von wegen! Eine zum Himmel stinkende Leiche. Xenia musste sich beherrschen, um Marek nicht anzuschreien.
    »Himmel, Marek, so können Sie eine Mumie doch nicht transportieren!«, fuhr sie ihn an. »Was, wenn Sie sie beschädigt haben? Wann fangen Sie endlich mal an mitzudenken, wenn Sie etwas tun?«
    Warum musste dieser unfähige Grünschnabel ausgerechnet Archäologie studieren? Er interessierte sich offensichtlich überhaupt nicht für das Fach, und als Hilfskraft war er in der Regel auch nicht geeignet. Mit Schaudern erinnerte sie sich an zerbrochene Krüge, verlegte Dokumente und abgestürzte Computer – traurige Ergebnisse von Mareks inzwischen zwei Jahre währendem Wirken am Institut. Trotzdem warf ihn aus unerfindlichen Gründen niemand hinaus. Wusste der Henker, warum. Wahrscheinlich war er mit irgendjemandem verwandt. Aber wenn diese Mumie Schaden genommen hatte, dachte sie wütend, würde sie es tun. Egal, wie hoch der schützende Verwandte in der Universitätshierarchie stand.
    »Was zum Teufel soll ich mit einer verwesenden Leiche? Haben Sie sich den Namen des Polizisten geben lassen?«, fragte sie und funkelte ihn böse an.
    Marek sah sie verständnislos an. Offensichtlich hatte er nicht daran gedacht. Xenia atmete tief durch. Ein grässlicher Tag – würdiger Nachfolger des vergangenen. Der gestrige Flug in einer altersschwachen Propellermaschine von Paris zurück war schrecklich genug gewesen, hinter ihnen hatte ein Baby fast zwei Stunden lang ohne Unterlass geschrien, und ihr Gepäck war vermutlich inzwischen in Nowosibirsk gelandet oder in Timbuktu. Jedenfalls war es nicht mit ihr in Prag angekommen. Die junge Frau von der Fluggesellschaft hatte etwas unwillig zugesichert, man werde sich darum kümmern, und versprochen anzurufen, wenn der Koffer wieder aufgetaucht sei. Xenia hegte keine Hoffnung, dass sie ihren Koffer jemals wiedersehen würde. Die Fahrt in die Stadt hatte eine Ewigkeit gedauert, und als sie endlich zu Hause angekommen war, hatte sie festgestellt, dass ihre Pflanzen auf der Terrasse hoffnungslos vertrocknet waren. Die Nachbarin hatte einen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen, mit dem Hinweis, sie habe ein Bewässerungssystem ausprobiert, das offenbar leider nicht funktioniert habe. Sie selbst sei nicht in der Lage gewesen zu gießen, da sie spontan mit ihrem Freund zum Zelten gefahren war. Herzliche Grüße und nichts für ungut. Und jetzt hatte Xenia dank Marek auch noch eine stinkende Mumie auf dem Tisch. Sie massierte mit beiden Händen ihre Schläfen. Eine Migräne wäre jetzt das Letzte, was sie gebrauchen konnte.
    »Wissen Sie wenigstens, von welcher Dienststelle der Polizist war?«, fragte sie Marek entnervt.
    »Hm, es waren zwei. Und die Dienststelle? Na, ich weiß nicht recht, sie sagten was von Diebstahlsdezernat …«
    »Na schön, das Diebstahlsdezernat.«
    »Nein, da waren sie, glaube ich, nicht her.«
    Xenia war nahe dran zu schreien. Unter Aufbietung ihrer ganzen Beherrschung fragte sie leise: »Woher waren sie dann, Marek?«
    »Keine Ahnung, aber der eine sagte noch was von Mordparta , als sie mit dem Ding da ankamen.«
    »Sie waren also von der Mordkommission?«
    Marek zuckte die Achseln.
    »Gehen Sie wieder an Ihre Arbeit, Marek. Danke«, sagte sie resigniert und ging langsam zurück in ihr Büro. Aus einer Schublade in ihrem Schreibtisch kramte sie ein Telefonbuch heraus und suchte die Nummer der Kriminalpolizei.
    Zehn Minuten später war sie nur wenig schlauer als zuvor. Irgendjemand hatte irgendwo dieses Ding gefunden, wo genau, wollte der unfreundliche Mensch am anderen Ende der Leitung ihr nicht verraten. Und man hatte beschlossen, dass es sich um ein antikes Artefakt handle, das dem Archäologischen Institut irgendwann abhandengekommen sein musste, also habe man es zurückgebracht. Die Mordparta , sagte der Mann, der sich mit Oberst Kohout gemeldet hatte, sei jedenfalls nicht dafür zuständig. Sie solle ihn nicht damit behelligen, er habe Wichtigeres zu tun, dann hatte er ohne einen Gruß aufgelegt. Seinem Namen hatte er bei dem kurzen Gespräch alle Ehre gemacht – ein aufgeblasener Hahn, der seinen Hühnerhof verteidigte.
    Xenia saß an ihrem Schreibtisch und überlegte. Sie verfügte über keinen Kühlraum, den diese Leiche, egal,

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