Nasses Grab
vorgestern entbunden, und der Chef ist noch im Urlaub. Wo die beiden anderen sind, weiß der Himmel. Ich kann nicht einfach eine Mumie – oder Leiche – ohne Anweisung abholen lassen und obduzieren. Die Polizei …«
»Vergiss die Polizei. Diesen Ignoranten von der Mordparta rufe ich nicht noch mal an. Bitte, Magda, es ist schließlich eine Leiche. Egal, wie alt sie sein mag.« Xenia klang verzweifelt.
»Das gibt Ärger, Xenia, viel Ärger.«
»Na bestens, das ist doch dein ureigenstes Lebenselixier«, erwiderte Xenia stur.
Himmel, dachte Magda, kaum mehr als drei Stunden im neuen Job, und schon war sie wieder dabei, gegen jede einzelne Vorschrift zu verstoßen, die die heilige Bürokratie sich ausgedacht hatte. Andererseits, wann hatte man schon die Gelegenheit, sich eine waschechte Mumie genau anzusehen?
»Na schön, ich schicke jemanden vorbei. Aber unter einer Bedingung: Du begleitest das Ding und siehst es dir hier mit mir zusammen an. Bis gleich.«
»Wenn dieses Schätzchen hier antik ist, dann ist die Erde eine Scheibe«, sagte Xenia, als sie die Leiche untersucht hatte. Sie zog die dünnen Einmalhandschuhe aus und warf sie in den Abfalleimer. Sie hatten die Mumie in einen kleinen Sezierraum gebracht und vorsichtig ausgepackt. Zuerst hatten sie sie geröntgt, dann hatte Xenia jeden Schritt der Untersuchung fotografiert, und Magda hatte alles, was sie taten, auf Tonband gesprochen.
»Woraus schließt du das?«, fragte Magda.
Xenia betrachtete die nackte, dunkel verfärbte Leiche, die vor ihr lag, und die feuchten, schmutzigen Stoffbänder, die auf einem Tischchen daneben eine kleine Pyramide bildeten.
Magda stand mit dem Rücken vor der Leuchtwand, an der die Röntgenaufnahmen steckten, und betrachtete ebenfalls die mumifizierte Leiche. Die Mumie war in einem leidlich guten Zustand, jedenfalls war noch alles dran, inklusive Finger und Zehen. Trotz des Bades, das die Mumie in der Metro genommen hatte, hatten die Bandagen gehalten.
»Das ist nicht so einfach. Es gab im alten Ägypten mindestens drei verschiedene Arten, Menschen zu mumifizieren, und das hier scheint mir bisher keine davon zu sein. Zum einen sind das weder Baumwoll- noch Leinenstreifen, in die sie eingewickelt war, und dann war sie falsch gewickelt. Wer auch immer das gemacht hat, hat am falschen Ende angefangen – an den Füßen statt am Kopf. Das Wickelmuster stimmt weitgehend. Aber dies hier ist falsch«, sie deutete auf den langen Schnitt, der vom Hals bis ans Schambein verlief, »der Schnitt ist viel zu lang und außerdem an der falschen Stelle. Man hat damals nur einen kleinen Schnitt unter dem rechten Rippenbogen gesetzt, um die Organe herauszuholen. Jedenfalls bei den Leichen der besseren Leute. Je niedriger die soziale Stellung, desto weniger pingelig ist man mit den Leichen umgegangen.«
»Du meinst, jemand wollte nur den Eindruck erwecken, es sei eine echte Mumie?«
»So sieht es auf den ersten Blick aus«, sagte Xenia nachdenklich, »aber warum?«
»Na, das zumindest ist ziemlich offensichtlich«, erwiderte Magda und deutete auf den Kopf der Leiche. Der Grund für diese makabre Maskerade war unübersehbar – die Frau, die vor ihnen ausgestreckt auf dem kalten Metalltisch lag, war sicher nicht friedlich in ihrem Bett gestorben.
»Wo könnte sie bloß her sein?«, unterbrach Xenia Magdas Gedanken.
»Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?«, fragte Magda gereizt. Je länger sie sich mit dieser Mumie beschäftigte, desto sicherer war sie sich, dass die ganze Sache noch mehr Ärger machen würde, als sie ohnehin angenommen hatte. Der Polizeibeamte, mit dem Xenia telefoniert hatte, würde bestimmt vor Wut toben, wenn er erfuhr, dass die Mumie trotz all seiner Bemühungen in der Gerichtsmedizin gelandet war. Und ihr eigener Chef war, was sein Temperament anging, auch nicht gerade ein Lämmchen. Jedenfalls hatte man ihr das erzählt. Sie selbst hatte ihn nur beim Vorstellungsgespräch getroffen, und da war er ein Muster an Freundlichkeit und Charme gewesen. Ihr Kollege Jirka Kratochvíl allerdings hatte sie vor den Wutausbrüchen des Chefs gewarnt. Und nun hatte sie unter Umgehung aller Vorgesetzten an ihrem ersten Arbeitstag diese Mumie ins Gerichtsmedizinische Institut geholt und war dabei, sie zu obduzieren. Vergiss den schönen Sommer, dachte sie, vergiss vielleicht sogar diesen Job, noch bevor er richtig angefangen hat. Andererseits war die Sache spannend. So etwas hatte sie noch nie auf dem Tisch gehabt.
»Hörst
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