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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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Wir wissen noch nicht, wie lange die Frau tot in der Metro gelegen hat. Das können achtundzwanzig, aber auch nur fünf Jahre gewesen sein. Passen Sie auf sich auf.«
    »David!«
    Anděl drehte sich um. Hinter ihm kam gerade Otakar Nebeský über die Straße und gesellte sich zu ihnen. Anděl stellte Larissa seinem Partner vor, dann nahm er eine Visitenkarte aus einem alten, etwas verbeulten silbernen Etui und notierte seine Handynummer darauf.
    »Hier. Für den Fall, dass Sie noch mehr über die Leiche oder den Mörder ausgraben, lassen Sie es mich wissen, bevor es in der Zeitung steht!«
     
    Larissa sah David Anděl nach, als er mit Otakar Nebeský über den großen Platz in Richtung Innenstadt fortging, und steckte die Karte nachdenklich in ihre Handtasche. Er bewegte sich wie eine große Raubkatze, anmutig und geschmeidig. Ein Mann, der sich seiner selbst sicher war – und seiner Wirkung auf andere. Sie lächelte.
    Die hohen Türme der Kirche der heiligen Ludmilla warfen lange Schatten auf die Häuser am unteren Ende des Friedensplatzes. Ein Teil des Pflasters, das man seit ein paar Wochen aufwendig restaurierte, war schon verlegt worden, und das vielstimmige Geklapper der Hämmer, mit denen zwei Dutzend Arbeiter jeden Tag die kleinen dunkelgrauen und weißen Steine in geometrischen Mustern in den sandigen Untergrund klopften, hallte über den Platz.
    Der Hauptplatz des schönen Jugendstilviertels Königliche Weinberge, auf dem Berg oberhalb des Nationalmuseums gelegen, war auch zu weniger chaotischen Zeiten ein großer Verkehrsknotenpunkt. Eine mehrspurige Straße umschloss den eigentlich schönen und erstaunlich gemütlichen Platz von allen Seiten. Von Ost nach West durchschnitten ihn Straßenbahnschienen, auf denen seit dem Hochwasser noch mehr Trambahnen einen unaufhörlichen Strom eiliger Menschen den Berg hinauf- und wieder hinunterbeförderten.
    Das lautstarke Gebimmel und Geratter der haltenden und wieder anfahrenden Straßenbahnen nahm Tag und Nacht kein Ende. Dubčeks Rache, dachte sie und musste bei dem Gedanken schmunzeln. Eine Freundin aus Dresden hatte ihr einmal erzählt, so habe man dort nach dem Prager Frühling die in die DDR exportierten tschechischen Straßenbahnen genannt – wegen ihres unglaublichen Lärmpegels.
    Eine magere Rache für den Einmarsch der Staaten des Warschauer Pakts, dachte Larissa. Der einschneidende Vorgang hatte auch das Leben ihrer Familie verändert. Ihre Eltern waren zehn Jahre später, kurz nach ihrer Geburt, auf einer Urlaubsreise in Deutschland geblieben. Sie hatten sich sogar scheiden lassen, um in den Westen zu gelangen. Larissa war mit ihrer Mutter nach Deutschland zu einer Tante gefahren, der Vater mit ihrem Bruder ein paar Tage später nach Österreich. In München hatten sie sich dann wieder getroffen. Eines Abends, in der kleinen möblierten Wohnung in Nymphenburg, hatte ihr Vater dann der Mutter zur Überraschung der Kinder einen Heiratsantrag gemacht. Sie hatte heute noch das hellblaue Kleidchen mit der großen gestickten Blume, das sie zur zweiten Hochzeit ihrer Eltern getragen hatte. Ihre Mutter hatte es ihr aus einem alten Bettbezug genäht, neuen Stoff hatten sie sich damals nicht leisten können. Das magere Gehalt ihrer Eltern in jener Anfangszeit im Westen hatte noch nicht einmal für eine Straßenbahnfahrkarte gereicht. Ich sollte dringend mal wieder nach Hause fahren, dachte Larissa. Zu Weihnachten vielleicht. Sie schüttelte die sentimentalen Erinnerungen ab und lächelte zufrieden.
    Ihr Blick schweifte über den Platz und zurück in die Americká-Straße. Sie würde viel dafür geben, hier wohnen zu können, aber leider verdiente sie bei der Post nicht annähernd genug, um sich in diesem Viertel eine noch so kleine Wohnung leisten zu können. So war sie in das alte Arbeiterviertel Žižkov gezogen, nur einen Katzensprung Richtung Norden, jenseits der Riegerovy Sady, eines hübschen Parks mit Kinderspielplatz und Biergarten. Sie wohnte an der Ecke der Seifertova-Straße, einer der beiden Hauptstraßen Žižkovs, und der Víta-Nejedlého-Straße, in einer kleinen Zweizimmerwohnung unter dem Dach. Obwohl ihr Haus eines der wenigen bereits renovierten war, war die Wohnung in keinem besonders guten Zustand, genau genommen eine ziemliche Bruchbude, aber der göttliche Blick aus den Fenstern und die große Terrasse, die zum ruhigen Hinterhof hinausging, entschädigten sie für das ewige Gebimmel und Geratter der Tram unter ihrem Fenster und für die

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