Nasses Grab
erst kürzlich hatte nähen lassen – aus der roten indischen Seide, die er ihr von einer seiner Reisen mitgebracht hatte. Die Granatkette, die er ihr Jahre zuvor geschenkt hatte, hatte neben ihr gelegen.
Plötzlich war ein Schatten auf ihn gefallen, und die Nachbarin hatte neben ihm gestanden. Sprachlos vor Entsetzen hatte sie ihn angestarrt, wie er neben der Leiche kniete. » Was hast du getan ?!«, hatte sie geflüstert. » Was hast du nur getan, Honza ?«
»Nichts«, hatte er gekrächzt, »nichts habe ich getan! Venca …«
»O mein Gott! Ich habe ihn hinauslaufen sehen, er war hier, sie haben sich gestritten, und dann war es still … und dann bin ich... ich habe jemanden auf der Treppe gehört und wollte nachsehen … Die Tür war offen und jetzt – o mein Gott, wir müssen die Polizei rufen, Honza!«
Erst da war er aus seiner albtraumhaften Trance aufgewacht. Er fühlte förmlich, wie das Adrenalin durch seine Adern jagte. Sein Verstand arbeitete präzise wie ein Computer. Leidenschaftslos wie der des Chirurgen, der er war, vor einer großen Operation.
»Das kommt überhaupt nicht infrage! Vergiss die Polizei. Hiervon darf niemand etwas erfahren, verstehst du?« Warum eigentlich nicht?, war ihm kurz durch den Kopf geschossen. Venca hatte ihn angelogen, verdammt noch mal! Sie war tot. Venca hatte ihn angefleht, sie brauche einen Arzt. Nun, das war das Letzte, was sie brauchte. Wieso wollte er Venca schützen? Lass ihn doch ins Messer laufen, den Dreckskerl, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Ein Anruf bei der Polizei. Sie könnten Venca noch auf dem Flughafen verhaften. Aus der Traum vom freien Westen, so wie auch seiner geplatzt war. Andererseits – er sah auf die Leiche hinunter. Andererseits konnte er dies hier für sich ausnutzen. Wenn er es geschickt anstellte. Er hatte ihn in der Hand – und mit ihm den Oberst. Ja, das war eine Möglichkeit. Keine Panik. Keine Polizei.
Die Nachbarin hatte ihn noch immer entsetzt angestarrt wie ein hypnotisiertes Kaninchen. »Das kannst du nicht ernst meinen!«, hatte sie gestammelt, »er hat sie umgebracht!«
Er war aufgestanden und hatte sie an den Schultern gepackt. Sie hatte ihr Gesicht von der Leiche abgewandt und zu ihm aufgesehen.
»Er hat sie erschlagen, Honza!« Sie begann am ganzen Leib zu zittern.
»Nein«, sagte er eindringlich und sah in ihre rehbraunen Augen. »Nein, das hat er nicht getan. Er hat mich angerufen, dass ich herkommen und ihr helfen soll, sie brauche einen Arzt. Was auch immer Venca Dana angetan hat heute Abend, er hat sie nicht erschlagen! Er ist doch, verdammt noch mal, selbst Arzt, er hätte gewusst, dass sie in diesem Zustand keine Hilfe mehr braucht. Jeder kann das sehen, dazu muss man weiß Gott kein Arzt sein.«
Er drückte ihre Arme fester. Er musste sie davon überzeugen, dass Venca unschuldig war – was auch immer er selbst glauben mochte. Hatte Venca sie getötet? Er wusste es nicht. Im Moment wollte er auch nicht darüber nachdenken. Er musste die Situation ausnutzen. Das hier war seine einzige Chance, seine Pläne doch noch zu verwirklichen. »Er hat sie nicht erschlagen!«
Er ließ sie los und schickte sie ins Badezimmer, damit sie sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht spritze und etwas trinke. Er musste nachdenken.
Er spürte wieder die Wut in sich aufsteigen, die er empfunden hatte, als sein Chef ihm gesagt hatte, der Posten auf Malta sei an Venca vergeben worden. Seit die maltesischen Ärzte den Notdienst im Krankenhaus verweigerten, holte die Regierung Ärzte aus anderen Ländern, auch aus der ˇSSR. Sie hatten sich beide beworben. Venca hatte gewonnen. Dabei hatte er die schlechteren Karten gehabt: schlechtere Noten, schlechtere Beurteilungen – und nicht zu vergessen, den falschen Familienstand. Venca war ledig, er selbst dagegen seit vier Wochen verheiratet, auch wenn kaum jemand davon wusste. Eigentlich hätte er den Posten bekommen müssen, hätte Venca nicht ein unschlagbares Ass im Ärmel gehabt: seinen Vater, den Oberst. Der hatte zwar darauf gedrungen, dass Venca sich verheirate, nur nicht diese Schauspielerin! Nun, Dana hatte ohnehin nicht mitgespielt. Sehr zu Vencas Empörung und Ärger. So hatte der Oberst seine zahlreichen Verbindungen spielen lassen müssen, um Venca die ersehnte Freiheit zu ermöglichen, ohne sich selbst die Karriere zu verderben. Denn Venca hatte dem Vater die Alternativen benannt: »Entweder du bringst mich nach Malta, oder ich haue ab. Such es dir aus.«
Wäre Venca
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