Natascha
Borissow zu. Wie die Teufel rasten sie durch Rußland, überall waren sie, schneller, als man die Funksprüche auf die Karte übertragen konnte.
Das Regiment wurde ausgeladen. Bei Slawjany standen alte Lastwagen bereit, Omnibusse aus Orscha und einige Panzer. Mit ihnen fuhren sie drei Tage hin und her, im Zickzack wie ein Hase, bis sie auf die staubige Straße mußten und hinter den Panzern hermarschierten, den Deutschen entgegen. Dann lagen sie auf einer Hügelkette, eingegraben in flache Mulden, weit auseinandergezogen, mit Maschinengewehrnestern, Granatwerfern, Panzerabwehrkanonen und Minen, die sie den stählernen Ungeheuern vor die Raupen werfen sollten.
Fedja Iwanowitsch Astachow lag neben Luka in einem Loch und sah auf die Ebene vor sich. Im aufwirbelnden Staub erkannte er deutlich die deutschen Truppen. Graugrüne Panzer mit langen Kanonenrohren. Wie Fliegen, so klebten die dunklen Körper der Infanteristen auf dem eisernen Leib. Die Sturmtruppen, die über Rußland gekommen waren wie ein Wirbelwind aus einem sonnenhellen Himmel.
Hinter Fedja und Luka brüllte es auf. Irgendwo war Artillerie aufgefahren und schlug mit ihren Granaten in die Bereitstellungen der Deutschen. Zwei Panzer brannten plötzlich. Um sie herum lagen die schwarzen Gestalten wie ausgestreute Mohnkörner.
»Siehst du, Fedja Iwanowitsch«, sagte Luka leise, »auch die deutschen Panzer brennen. Wie gut ist's, daß wir das wissen …«
Dann hörte auch Luka auf, zu überlegen. Die Deutschen griffen an. Um Fedjas Herz legte sich ein eiserner Reifen. Er drückte den Kolben der Maschinenpistole an die Backe und visierte die ersten auf ihn zurennenden Soldaten an. Er sah ihre schmutzigen, verschwitzten Gesichter, ihre schwankenden Stahlhelme, ihre die Hügelkette emporstolpernden Beine.
Menschen sind's, wie ich, dachte Fedja. Und Angst haben sie wie ich. Und trotzdem laufen sie und schießen und töten und werden auch mich töten, wenn ich nicht schieße … jetzt, sofort, in diese staubigen Gesichter hinein, in diese rennenden Körper … Warum, o warum …?
Er zog den Finger an. Die ratternden Gegenstöße an seiner Schulter hämmerten die Gedanken weg. Er sah nur noch die stürzenden Körper, die emporgerissenen Arme; die Schreie und ersterbendes Wimmern erreichten sein Ohr, aber auch sie prallten ab und waren nur Töne ohne Sinn, ohne Drang in die Seele.
Luka wechselte schnell das runde Magazin. Links und rechts von ihnen rollten die Panzer der Deutschen weiter, mitten durch die Linie hindurch, als durchschnitten sie ein Stück weiche Butter. Einige brennende Wracks trieben fettigen, heißen Ölqualm über die Hügel und verdeckten die weitere Sicht. Es war schwer, die Geräusche auseinanderzuhalten … Explosionen, Schüsse, Einschläge von Granaten, Motorengebrüll, Stöhnen, Aufschreie, Hilferufe, Flüche, Kampfgeschrei und Beten war ein einziges Geräusch, das von den Zehen bis zu den Haarwurzeln den ganzen Körper durchzog und ihn emporriß.
Luka war aus dem Loch gesprungen. Mit der eisernen Munitionskiste schlug er um sich, zertrümmerte den Schädel des ersten Anstürmenden, hob dessen schwankenden Körper hoch wie ein Stück Birkenholz und warf ihn dem nächsten an die Brust. Dann stürzte er nach, riß ein deutsches Seitengewehr an sich und stach um sich, brüllend, in schauerlich langgezogenen Tönen, daß das Grauen jeden erfaßte, der aus der Qualmwolke heraus plötzlich vor ihm stand.
Um Fedja Iwanowitsch herum war die Welt einsam geworden. Er hörte keine Töne mehr … es war ihm, als rauschten Himmel und Erde zusammen wie beim Jüngsten Gericht. Mit beiden Händen hatte er den Lauf seiner Maschinenpistole umklammert und hieb mit ihr um sich. Und dann hörte auch das Rauschen auf. Ganz still, unheimlich lautlos war die Welt geworden.
Fedja stand seinem Tod gegenüber.
Ein kleiner, schmutziger, verschwitzter, müder deutscher Soldat war es. Er hatte den Stahlhelm in den Nacken geschoben, aus der aufgesprungenen Stirn lief ein dünner Blutfaden über das Gesicht, zwischen den Augen hindurch, die Nasenwurzel hinunter auf die Oberlippe. Ganz deutlich sah es Fedja Iwanowitsch …
Der kleine deutsche Soldat keuchte. In seinen aufgerissenen Augen stand die brennendste Angst, die Fedja je gesehen hatte. Ein Schrei war es, ein Toben nach Leben, ein Entgegenstemmen gegen das Schicksal … Brüderchen, dachte Fedja. So ist das nun. Einer von uns wird sterben müssen. Frag nicht, warum. Wir wissen es alle nicht. Ich habe
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