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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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öffnete, hatte seine Mütze schief auf dem mächtigen Schädel, das Koppel schräg an der Hose, und sein Unterkiefer schlackerte, als er sprach.
    »Alarm, Fedja Iwanowitsch!« Schlucken mußte er, der Riese. Ein Kloß saß ihm in der Kehle, wie ein Korken in einem Flaschenhals. »Um 3.15 Uhr ist's geschehen, Genosse Leutnant. Der Deutsche ist in Rußland –«
    »Krieg!« sagte Fedja leise.
    »Alles haben sie überrannt, die Teufel! Die Grenze, die Kasernen, die Bataillone, die Magazine, alles! Sie marschieren schon auf Bialystok –«
    »Der Krieg –«, sagte Fedja noch einmal. Langsam drehte er sich zu Natascha um. Im dritten Monat war sie. Ein werdendes Mütterchen. Und nun war Krieg.
    »Du mußt fort?« fragte Natascha aus dem Bett. Fedja nickte und drückte Luka aus der Tür. »Jetzt geht es um Rußland –«
    »Ich hasse alles, was dich wegnimmt … auch Rußland!« schrie sie. Hilflos hob Fedja die Arme. Er sah Natascha aus dem Bett springen, als wolle sie sich der grauen Welle entgegenstürzen, die von Westen über das Land spülte.
    »Krieg ist …«, sagte er stockend. »Wer hat ihn gewollt von uns? Niemand – aber nun ist er da. Und wir müssen siegen –«
    Er zog sich an, die Uniform, die Stiefel, und Natascha packte einen Sack mit Unterwäsche und Strümpfen, und obenauf legte sie ihr Bild. Lautlos weinte sie dabei vor sich hin.
    »Wenn ich dich nicht mehr sehe«, sagte sie endlich schluchzend. »Wie soll es heißen, wenn's ein Junge ist?«
    »Alexeij«, sagte Fedja mit trockenem Hals.
    »Und wenn's ein Mädchen ist?«
    »Dunjaschka –«
    Sie nickte und schnürte den Sack zu.
    »So soll es sein«, sagte sie. Und es war, als habe sie ›Amen‹ gesagt.
    Um die Mittagsstunde wurde das Regiment verladen. Viehwagen standen in langen Reihen auf dem Güterbahnhof von Smolensk, und große Spruchbänder hatte man von Lichtmast zu Lichtmast gespannt. Mit Stalin in den Sieg, stand da. Kampf den Ausbeutern! Die sozialistische Revolution wird siegen!
    Luka rannte den langen Zug entlang und suchte. »Wo ist der Küchenwagen, Genossen?!« rief er. »Kommt, sagt's mir, Brüderchen! Einem hungrigen Soldaten zittert die Hand und er kann nicht schießen!«
    Ganz am Ende fand er endlich die rollende Küche. Es waren ein alter, rauchender Kessel, ein Berg von Kartoffeln und Kraut und ein mürrischer Feldwebel aus der tatarischen Republik. »Was willst du hier?« fragte er Luka. »Für dich findet die Fütterung im Zoo statt!«
    Luka sah mißtrauisch auf die Kartoffeln und Kohlköpfe.
    »Ist das alles?« fragte er dumpf.
    »Wir fahren zum Kämpfen, nicht zum Fressen an die Front, Genosse!« schrie der tatarische Feldwebel.
    Seufzend wandte sich Luka ab und trottete zu seinem Wagen zurück. »Ein schwerer Krieg wird's!« sagte er zu sich. »Man darf die Nerven nicht verlieren –«
    Fedja Iwanowitsch Astachow stand am hohen Stacheldrahtzaun, der das Bahngelände von der Straße trennte. Er hatte seine Hände durch die Drahtstreifen gesteckt und hielt Nataschas zitternde Finger umklammert. Ganz kalt waren sie, die zarten Knöchelchen, wie abgestorben. Auch ihre Augen waren wie gestorben. Leer blickten sie über Fedjas blonden Schädel auf die Güterwagen. Stroh quoll aus ihnen, Soldaten in hüftlangen grünen Blusen verteilten es. In Gruppen angetreten warteten die anderen, bis sie in die Wagen klettern durften.
    »Geh nach Krassnoje Mowona, Natascha«, sagte Fedja und streichelte ihre Hände und die kalten Arme. »Eine Stadt wie Smolensk könnte bombardiert werden. Ganz fürchterliche Flugzeuge haben die Deutschen. Vom Himmel stürzen sie herab wie Riesengeier, heulend und die Herzen zerreißend.«
    »Ich werde hinfahren, Fedja.«
    »Und arbeite nicht auf den Feldern. Schone dich.«
    »Ja, Fedja.«
    »Wenn es soweit ist, geh nach Tatarssk.«
    »Ja, Fedja.«
    Die ersten Soldatengruppen kletterten in die Waggons. Sie entrollten rote Fahnen und schwenkten sie. Dabei sangen sie und winkten den Mädchen zu, die auf der Straße standen und durch den hohen Zaun zu ihnen hinsahen. In wenigen Wochen haben wir die Deutschen geschlagen, das war die Meinung aller, die man sprach und hörte. Man brauchte nur auf die Karte zu sehen, die alle Zeitungen abdruckten … das riesige Rußland, ein ganzer Erdteil für sich, und davor das winzige Deutschland, klein wie ein Vogelschiß auf dem Roten Platz von Moskau. Man lachte darüber und schüttelte den Kopf. Müssen Idioten sein, die Deutschen. Wie kann man ein Meer leertrinken wollen, nur

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