Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
weil man Durst hat?!
    »Ich werde gehen müssen …«, sagte Fedja leise. »Sie warten auf mich. Kapitän Koreljow sieht schon herüber. Natascha –«
    Sie schloß die Finger um seine Hände, grub die Fingernägel in sein Fleisch. Ihr Gesicht war weißgrau wie festgetretener Schnee.
    »Mütterchen …«, stotterte er. »Ich komme zurück … Du mußt daran glauben. Sie können nicht alle totschießen, immer bleiben ein paar am Leben …«
    »Leutnant Fedja Iwanowitsch!« rief eine laute Stimme von dem Zug her. »Es geht los!«
    »Ich liebe dich so …«, sagte Fedja fast weinend. Er schämte sich nicht. Und gleichzeitig verfluchte er innerlich die Politik, die Partei, die Uniform, Rußland und Deutschland, alles, überhaupt alles …
    »Leutnant Astachow!« rief wieder eine Stimme.
    Noch einmal sah er Natascha an. Schmal, traurig, mit aufgesteckten Haaren stand sie am Zaun. Die Arme hatte sie ausgestreckt und die Handflächen nach oben gekehrt, als bettele sie um Wasser oder um Brot oder um Gnade oder um das Leben.

Da rannte Fedja weg, hetzte zu den Gleisen, sprang über Schienen und herumliegende Drahtrollen, über Bohlen und Signaldrähte. Er sah sich nicht mehr um, auch als der lange Zug sich langsam in Bewegung setzte und die Soldaten singend Abschied nahmen von Smolensk.
    Eine Weile ging Natascha auf der Straße neben dem Zug her, solange sie ihn sehen konnte. Sie ging mit gesenktem Kopf, die Hände über dem noch schmalen Leib gefaltet, als wolle sie die Augen des werdenden Kindes bedecken, damit es nicht den Abschied sah. Erst als der Zug schneller fuhr, blieb sie stehen und hob die rechte Hand zum Gruß. Ganz leicht winkte sie damit, dann verkrampften sich die Finger, wurden zur geballten Faust und zuckten an den Mund. Mit flatternden Augen biß Natascha in ihre Faust, und aus dem Schrei, den sie mit der Faust zurückstieß, wurde ein dumpfes Stöhnen.
    Ein Militärtransport ist etwas Komisches, nicht klug wird man daraus. Erst heißt es eilig, eilig, auf jede Minute kommt es an, vorne wartet man auf euch, Genossen … und dann rollt man durch die Landschaft, hält, wird umrangiert, fährt zurück, kommt auf ein totes Gleis, wartet wieder … es ist zum Jammern!
    Am Abend starrte alles aus den Waggons in den Himmel. Die ersten deutschen Flugzeuge! Grausilberne Vögel mit einem dicken schwarzen Kreuz auf den Flügeln. Geschützt hielt der Zug in einem Wald, durch den man für die Bahn eine enge Schneise geschlagen hatte. Das Dröhnen der Motoren hallte zwischen den Bäumen wider. Es war, als ob selbst die Stämme bebten.
    »Da! Seht nur, seht!« Der Schrei pflanzte sich fort, mit nackten, angstvollen Gesichtern starrten die Soldaten in den Himmel.
    Die deutschen Bomber hatten sich geteilt. Während die einen weiterflogen, kippten die anderen über die Flügel ab und rasten heulend auf die Erde zu. Kurz bevor sie aufschlugen – so sah es von weitem aus –, wurden sie wieder emporgerissen, etwas Schwarzes taumelte aus ihrem Leib … und während sie wieder hoch in den Himmel schossen, brach hinter ihnen die Erde auf, jagten Flammen und Dreck in Riesenfontänen empor und fielen in dröhnenden Kaskaden zurück.
    »Da sind sie, Genossen!« sagte Luka. Auf den Puffern hockte er, der Idiot, und kaute an einem Kohlstrunk. »Damit haben sie die Polen kaputtgemacht, und Frankreich und Norwegen. Aber mit uns machen sie das nicht –«
    Fedja Iwanowitsch sah dem Pulk nach, der weitergeflogen war. Fliegen sie nach Smolensk? dachte er, und sein Herz war kalt wie der Eisengriff, den er umklammert hielt. Sicherlich fliegen sie nach Smolensk, und sie werden die Bomben abwerfen auf die Frauen und Kinder. Hilflos werden diese durch die Straßen irren, hineinlaufen in die Detonationen, die sie zerreißen werden. Sie haben keine Bunker in Smolensk, und kaum Keller haben die Häuser. Auch Natascha wird sich verkriechen, in irgendeine Ecke, zitternd und den Schal vor die Augen haltend, um das Grauen nicht zu sehen. Es stirbt sich leichter, wenn man nicht sieht.
    Er senkte den Kopf und drückte die Stirn an das rauhe Holz des Waggons. Von weitem krachten die Einschläge und schlugen gegen das Trommelfell der Ohren.
    Nach einer Stunde fuhren sie weiter. Aber sie sangen nicht mehr, sondern hatten die Köpfe vorgestreckt und lauschten auf den Lärm, der ihnen entgegenkam.
    In der Nacht hielt der Zug. Sie brauchten nicht weiterzufahren. Der Deutsche war schneller als sie, er kam ihnen zuvor. Seine Panzerspitzen rollten bereits auf

Weitere Kostenlose Bücher