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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wenigen Sachen in einen Segeltuchkoffer, schloß die kleine Wohnung ab, gab den Schlüssel dem Hausmeister Washa Galjanow, bezahlte die Wasserrechnung und das Licht und bat ihn, die Blumen am Fenster jeden zweiten Tag zu gießen.
    Mit dem letzten Zug fuhr sie aus Smolensk hinaus. Aber schon in Potschino war die Fahrt zu Ende. Ein Major der Roten Armee ließ alle aus den Wagen werfen und besetzte den Zug mit seinen Soldaten.
    »Was soll das?« schrien die Hinausgeworfenen durcheinander. Bauern waren es meist, einige Ingenieure, viele Frauen und Kinder. Auch Rekruten, die aus dem Urlaub zurückbefohlen waren und sich bei ihren Truppenteilen melden mußten.
    »Ist das eine Art, Genosse Major?« schrien sie. »Sind wir bei den Kaukasusdieben?!«
    »Hütet eure Zungen!« brüllte der Major zurück. »Generalissimus Stalin kommt aus dem Kaukasus! Jedes weitere Wort ist Sabotage! Ich werde schießen lassen, wenn keine Ruhe ist. Habt ihr noch nicht bemerkt, daß Krieg ist, ihr Hohlköpfe?! Wir brauchen diesen Zug, um an die Front zu kommen!«
    Es half nichts … man stand in Potschino auf dem dreckigsten Bahnsteig Rußlands und mußte zu Fuß gehen. Nach einer Stunde fuhr der Zug rückwärts wieder ab, zurück nach Smolensk. Natascha setzte sich draußen an die Wand des hölzernen Stationshauses und sah über die Weite der Felder und Weiden. Fast hundert Werst sind es bis Krassnoje Mowona, dachte sie. Drei Tage werde ich gehen müssen, wenn keiner kommt, der mich mitnimmt. Aber Fedja will es so … und er ist im Krieg. Man soll sich schämen, vor drei Tagen Angst zu haben.
    Im Stationsgebäude ließ sie sich zwei Flaschen mit Wasser füllen, erbettelte sich einen Strick, knüpfte ihn um den Leinwandkoffer und hing sich den Koffer dann über die Schulter. Es war ein heißer Tag, und wo man hintrat, quollen die Staubwolken auf, so daß man nach wenigen Schritten aussah, als sei man durch dunkles Roggenmehl gegangen. –
    In der Nacht überflogen die ersten deutschen Bombenflugzeuge die Stadt Smolensk. Die sechste Bombe, die herunterfiel – Washa Galjanow zählte gewissenhaft die Einschläge –, traf das Haus neben der Kaserne und zersprengte es in alle Winde. Nicht ein Mäuerchen blieb stehen … nur ein Loch war da, wo das Haus gestanden hatte.
    Von Washa Galjanow hat man nichts mehr gesehen und gefunden.
    »Hast du gehört, der Deutsche soll schon in Minsk sein. Eine ganze Armee hat er eingekesselt, der Teufel. Unsereiner weiß gar nicht, was er tun soll, wo in den Feldern alles so gut steht …«
    Natascha nickte. Sie hockte auf dem Bock eines alten Holzwagens. Die eisenbeschlagenen Räder knirschten durch den Sand des Weges. Vorweg gingen zwei klapprige Panjegäule, struppig und mit Schwären bedeckt, in denen die Fliegen hockten und sich vollsaugten. Neben ihr saß Anatoli. Er war ein alter Bauer, der südlich von Tatarssk einen kleinen Hof verwaltete. Natascha hatte ihn aufgelesen, als sie den Tag und einen Teil der Nacht durchgewandert war. Auf dem Bock war sie sofort eingeschlafen. Am Morgen dann hatte sie einen Teil des Weges die Zügel geführt und Anatoli schnarchte an ihrer Seite. Wenig war in diesen Stunden gesprochen worden, doch nun war Anatoli ausgeschlafen und erzählte, was er gehört hatte.
    »Sieh dir die Gäule an, Täubchen!« sagte er bitter. »Alle anderen, die großen, starken Pferdchen, haben sie mir weggenommen für den Krieg. Womit soll ich pflügen? Sollen diese Gespenster da die Ernte einfahren?! Das hat man mir gelassen! Und der Deutsche hat Minsk genommen!«
    Natascha nickte abwesend. Eine Armee haben sie eingekesselt, dachte sie. Nein, Fedja kann nicht dabei sein, das war sicher! Er war noch auf dem Transport. Aber wenn auch sein Regiment eingekesselt würde –
    »Hast du gehört, Väterchen, was die Deutschen mit den Gefangenen machen?«
    »Man hört so vieles! Ob's wahr ist? Die einen sagen: Sie kommen nach Deutschland, werden gemästet und müssen dann Straßen bauen und in den Fabriken arbeiten. Und damit sie den deutschen Mädchen nichts tun, werden sie entmannt! So sagte es der Genosse Jelzow vom Distriktamt. Wieder andere sagen, daß man sie alle sammelt, bis hunderttausend zusammen sind. Dann sollen sie erschossen werden, kommen mit großen Waggons nach Deutschland und werden dort als Kunstdünger verarbeitet. Fleischmehl mit Phosphor, weißt du, Täubchen. Das gibt einen fetten Boden … das stimmt schon. Aber ob's wahr ist? Keiner weiß etwas Genaues … es muß ein großes

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