Natascha
großen Schatten.
»Mist ist's!« brüllte der Kerl im Sumpf. »Ein Gehirn hab' ich aus Eulendreck! Oh! Man sollte mich in Scheiße ersäufen …!«
»Halt!« schrie Kotelnikow. »Die Hände hoch und her zu mir.«
Der Schatten vor ihnen versank, als habe er sich aufgelöst. Nur ein Krachen war's im Schilf, als brächen Waldstücke im Herbststurm zusammen. Dann hörte man es metallisch klirren. Sieh an, eine Maschinenpistole hat er auch, dachte Kapitän Kotelnikow.
»Komm her!« brüllte er noch einmal.
»Bin ich ein Idiot, Brüderchen?« schrie eine urgewaltige Stimme aus dem Schilf. »Komm du, wenn du ein friedlicher Mensch bist …«
Natascha sprang hinter dem Stamm hervor. Wie von Sinnen war sie. Sie warf die Arme hoch in die Luft, hüpfte durch den Schnee und jubelte wie eine Lerche im Frühlingsblau des Himmels.
»Er ist's!« schrie sie hell. »Luka, der Idiot! Luka! Luka! Er ist's. Unser Luka –«
»Natascha Astachowa!« brüllte die Stimme aus dem Schilf. Dann stürzte das riesige Etwas hervor, wurde zu einem Menschen, der wiederum nicht aussah wie ein Mensch, und dieser Mensch stolperte Natascha entgegen, mit ausgebreiteten Armen und grölender Brust.
Dann, vor ihr, brach der Riese in die Knie, senkte den mächtigen Schädel, ergriff Nataschas Hände und küßte sie inbrünstig. Dabei heulte er wie ein Wolf, umklammerte ihre Beine und drückte sein Gesicht an ihren Schoß.
»Natascha Astachowa«, stammelte er. »Fedjas Natascha … ich hab' dich wieder … ich hab' dich wieder –«
Hinter seinem Baumstamm drehte sich Kapitän Kotelnikow zur Seite und steckte sich eine Zigarette an. Er hatte wenig übrig für Gefühle, genau gesagt, gar nichts hatte er dafür übrig. Aber dies ergriff ihn doch, verdammt noch mal!
Man hatte sein Herz also doch nicht verloren im Krieg …
Im Sommer 1943 war's, und Natascha Astachowa lebte mit Luka nun schon zwei Jahre im Rücken der deutschen Truppen und brach aus der Dunkelheit hervor, im Winter aus den Wäldern, im Sommer aus den Pripjetsümpfen, und was sie vernichteten, traf die Deutschen empfindlich. Also in diesem Sommer 1943 geschah es, daß das Oberkommando der Partisanenbekämpfung den Befehl gab, mit einem großen Schlag diese dicken Hornissen in den Sümpfen zu vernichten.
Polizeibataillone wurden herangezogen, SS-Truppen, eine ukrainische Brigade, ein paar Bewährungskompanien, und unter Führung einiger Bauern, die man durch Bestechung dazu gebracht hatte, ihr russisches Herz zu vergessen, drangen die deutschen Truppen in die inneren Pripjetsümpfe ein.
Iwan Kotelnikow traf dieser Schlag nicht unvorbereitet. Er wußte ihn im voraus. Zu viele seiner Spione arbeiteten als Hiwis bei den deutschen Verbänden. Nachts gaben sie Lichtzeichen oder morsten oder legten Berichte an verabredeten Stellen hin. Über das ganze Land zog sich die Organisation der Freiheitskämpfer, ein Spinnennetz, unsichtbar um die deutschen Armeen gewebt. Nichts geschah, was man nicht in den Sümpfen wußte. Man kannte jede neue Einheit, man kannte die genaue Bewaffnung, man erfuhr von der Gefährlichkeit der Offiziere, wie etwa von jenem Ritterkreuzträger, der bei einem von Partisanen besetzten Dorf sechzig Frauen in langer Reihe vor seinen Soldaten herlaufen ließ, als Kugelfang und Schutzschild, bis der Kommandant Boris Pleskow mit Tränen in den Augen nicht anders konnte, als erst die eigenen Frauen und dann die Deutschen erschießen zu lassen. »Das Vaterland möge es mir verzeihen!« meldete er danach an die Zentrale. Dann erschoß er sich im Wald.
Luka und Natascha lagen mit ihrer Abteilung seitlich eines Weges, der weit in den Sumpf hineinführte. Er war nicht wichtig, führte weit weg von den Partisanenlagern, aber es war ein Weg, auf dessen Entdeckung die Deutschen sehr stolz waren.
Ein Zug Feldpolizei hatte den Befehl bekommen, diesen Weg zu sichern. Mit zwei Hiwis gingen sie in die Sümpfe, weit auseinandergezogen, immer in Gruppen zu drei Mann und einem Maschinengewehr. Das Schilf war hoch und dicht. Es schwappte um das Schilf herum, ein saugender Boden, der nichts mehr hergab, was einmal auf ihn gefallen war. Und doch war es nicht tot und einsam in den Schilfwäldern. Auf kleinen Inseln lagen die Partisanen, selbst zu Schilf geworden, und starrten auf den Weg, über den die Dreiergruppen der Deutschen sich vorwärtstasteten.
Auch Natascha und Luka lagen in schwappenden Lachen, unkenntlich und mit verhaltenem Atem. Nichts hatte sich in den vergangenen zwei Jahren
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