Natascha
ging auf Kotelnikow zu. Die Exerzierenden grinsten. Gib es ihm, Täubchen, dachten sie. Ein anmaßender Lümmel ist er, der Genosse Kapitän.
»Was hast du bis jetzt gemacht, he?« schrie Natascha, als sie das hochmütige Lächeln des Kapitäns sah. »Verkrochen wie eine Kröte hast du dich. Und ab und zu spuckst du übers Land. Das ist alles! Soll das ein Krieg sein? Sollen das die Deutschen fürchten?! Du kitzelst sie, statt sie zu stechen!«
Iwan Kotelnikow verlor das hochfahrende Lächeln. »Ei sieh an!« schrie er zurück. »Rettet man diese Dohle vor dem Verhungern, und kaum kann sie wieder krähen, hackt sie auch schon herum! Auf so etwas warten wir hier schon lange! Wenn's dir nicht paßt, kannst du zurückgehen!«
»Hört! Hört!« Natascha ging auf einen der Partisanen zu, riß ihm das Gewehr aus der Hand und lud es durch.
»Weibsstück!« Kapitän Kotelnikow ließ Natascha stehen, »ich hab's nicht nötig, dich anzuhören! Man sollte dir einen Mann ins Bett legen, dann bist du beschäftigt …«
Langsam hob Natascha das Gewehr. Sie legte es an, zielte ganz kurz … und dann schoß sie. Auf Kapitän Kotelnikow. Auf seine Mütze. Knapp unterhalb der Falte, direkt über der Kopfhaut zischte die Kugel durch und riß ihm die Mütze vom Schädel. Wie angewurzelt blieb er stehen, die Hände schlaff an den Seiten herabhängend. Auf dem Platz war es totenstill. Die Partisanen hielten den Atem an.
Sie hat auf Kotelnikow geschossen, dachte Krepychew. In wenigen Sekunden wird sie tot auf dem Platz liegen. O Madonna … wie dumm ist sie doch!
»So schießt man in Krassnoje Mowona!« sagte Natascha ruhig. Dann warf sie das Gewehr weg, drehte sich herum und ging durch den Nebel davon, zurück zu den Bunkern.
Stumm sah ihr Kapitän Kotelnikow nach. Er dachte nicht daran, sie in den Rücken zu schießen, was alle um ihn herum erwarteten. Er schüttelte nur den Kopf, und als sie im Nebel untergetaucht war, riß er den Mund auf, und er lachte … lachte und bog sich vor Fröhlichkeit.
Es war das zweitemal, daß man Kapitän Kotelnikow lachen sah –
Nun änderte sich vieles im Sumpf des Pripjet.
Kapitän Kotelnikow verlor die absolute Macht. Natascha Astachowa befehligte hundert Mann, die sie selbst aussuchte. Sie mußten schießen können wie Geister, die nie ihr Ziel verfehlen, sie mußten hart sein wie die gefrorenen Stämme in der Taiga, sie mußten gewandt sein wie die Katzen und grausam wie hungernde Tiger.
Mit diesen hundert Männern, aufgeteilt in Gruppen zu je zehn, zog sie gegen die Deutschen. Ein Spieß, vergiftet mit Haß. Und sie stach mit ihm in das Herz der Deutschen, immer und immer wieder, mitleidlos und unbegreiflich kühn. Was Kotelnikow als Irrsinn ansah, vollführte sie siegreich. Was selbst die Deutschen nicht für möglich hielten, führte sie aus: Sie zerstörte den Nachschub der deutschen Truppen auf einer Breite von hundert Kilometern. Überall war sie, als fliege sie durch die Sümpfe. Grausam vernichtete sie alles, was eine graue Uniform trug. Die Verwundeten, die sie zurückließ aus der eigenen Truppe, erschossen sich selbst, bevor es die Deutschen verhindern konnten. Schweigen und Grauen waren es, die Natascha Astachowa hinterließ.
So kam der Winter, der erste Schnee, die ersten eisigen Nächte. Um die Pripjetsümpfe marschierten deutsche Bataillone und SS-Truppen auf. Wenn die Sümpfe zufroren, konnte man in sie vordringen. Nur darauf hatte man gewartet. Quadratmeter um Quadratmeter würde man abkämmen, mit Flammenwerfern die Bauten ausräuchern. Im Winter ist ein Sumpf kein Schutz mehr.
Kapitän Kotelnikow und Natascha Astachowa waren sich einig, in die Wälder auszuweichen. Einzeln sollten die Männer durchsickern, bis der Ring der Deutschen ganz geschlossen war. Immer gab es Lücken, und man fand sie mit dem Instinkt von Füchsen.
Als eine der letzten verließen Kotelnikow und Natascha das Sumpflager. Man hatte die Bunker zugeschüttet, Schilf auf den Exerzierplatz gepflanzt … nichts zeigte mehr, daß hier Menschen gelebt hatten.
Kurz vor dem Austritt aus dem Sumpf stießen Kotelnikow und Natascha auf einen Schatten, der seitlich von ihnen in das Schilf gleiten wollte. Es war kein lautloser Schatten, sondern ein riesiges, fluchendes Etwas, das sich durch Schnee und Eis vorwärtskämpfte, richtungslos durch die Nacht. Was es an Flüchen gab, flatterte Kotelnikow entgegen. Er lag mit Natascha hinter einem umgestürzten Baum und zielte mit der Maschinenpistole auf den
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