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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in Moskau und Smolensk, Gott sei's geklagt. Er exerzierte mit ihnen, er ließ sie durch die Sümpfe robben, er hielt auf Disziplin und führte das militärische Grüßen ein, er übte das Schießen auf bewegliche Objekte und sammelte eine kleine Gruppe von Scharfschützen, die selbst im Hinfallen noch ein Loch in ein handtellergroßes Blatt schossen, das Iwan Kotelnikow in die Luft warf.
    Die Deutschen waren gnadenlos, wenn sie gegen die Partisanen in die Sümpfe zogen. Aber nicht weniger gnadenlos waren Kotelnikow und seine Genossen, wenn sie eine deutsche Truppe überfielen oder einen deutschen Transport, wie vor einer Woche an der Straße nach Mikaschewitschi. Da hatte man zehn Lastwagen umzingelt und gestürmt. Aus den Führerhäusern zerrte man die Deutschen, stellte sie in einer langen Reihe an den Rand des Sumpfes und schoß ihnen von hinten in die Kniekehlen. Die ganze Reihe knickte zusammen und fiel vornüber in den Sumpf. Während sie schreiend und bettelnd im Morast versanken, standen Kapitän Kotelnikow und seine Genossen am Rande des Sumpfes und sangen die Internationale.
    So waren sie, rauhe Burschen, deren Gefühl man aus den Herzen geschossen hatte. Einstmals waren es sanfte, fleißige Bauern auf den Kolchosen gewesen, Handwerker in den Stationen und Städten, Angestellte und sogar Studierte waren dabei. Ein Arzt, ein Architekt und ein Ingenieur. Die wichtigsten von allen waren sie … einen Arzt braucht man im Kriege immer, der Architekt baute Bunker und Hütten mitten in den Sumpf, und der Ingenieur reparierte die Waffen und bastelte mit zwei Schmieden raffinierte Minen, mit denen sie die schmalen, festen Wege durch die Pripjetsümpfe bespickten. Sie alle hatten keinen Krieg gewollt, aber nun war er da, der Krieg, und die Deutschen marschierten unaufhaltsam auf Moskau. Was galt da noch Menschlichkeit? Wer sprach da von Grausamkeit? Nur vernichten, hieß es. Nichts anderes.
    Auf einer solchen Streife nach Beute trafen Washa Krepychew, der Stellvertreter Kotelnikows, und Nikolai, der Bucklige, auf die schlafende und im Schlaf sterbende Natascha Astachowa. Sie hoben sie auf, versuchten sie mit Rufen und Schlägen zu wecken, aber als sie weiterschlief, merkten sie, daß es mehr war als Müdigkeit. Vorsichtig legten sie Natascha zurück auf den Waldboden und sahen sich an.
    »Ein Schnäpschen sollte man ihr geben!« sagte der bucklige Nikolai weise. »Wunder wirkt's, Genosse Washa!«
    Washa Krepychew kniete neben Natascha und bohrte seinen schmutzigen Finger zwischen ihre Lippen und die Zähne. Er drückte ihren Kiefer auseinander und winkte mit der anderen Hand zu Nikolai.
    »Gib her, du Mißgeburt!« rief er. »Zähne hat sie wie eine Wildkatze. Spitz und kräftig. Lange halte ich's nicht aus.«
    Nikolai, der Bucklige, holte eine Flasche aus dem Sack und entkorkte sie. Er nahm erst selbst einen Schluck und nickte hinterher. »Er wird sie erwecken!«
    »Her damit!«
    Vorsichtig goß Krepychew etwas Wodka in den Mund Nataschas und rieb die Kehle dabei. Zuckend bewegte sich der Gaumen, nur ein wenig floß in die Speiseröhre, das meiste kam in die Luftröhre. Ächzend bäumte sich der kleine, schmächtige Körper auf, ein gewaltiger Husten schüttelte ihn durcheinander und trieb die Schwäche aus dem Gehirn. Mit großen Augen starrte Natascha in das wilde, bärtige Gesicht Krepychews und auf die grinsende Fratze des buckligen Nikolai. Dann schluckte sie, weil Krepychew weiter nachschüttete, und zwischen Husten und Würgen kam sie zum Leben zurück und spürte wieder Schmerz und hörte wieder Laute. Es war ihr eigenes Keuchen und Husten, das ihr fast den Schädel zersprengte.
    Dann aß sie etwas. Kaltes, trockenes Fleisch, ein paar Bissen glitschiges, schwarzes Brot. Und wieder trank sie Wodka, und es war herrlich, wie warm er durch den Körper rann und das Blut vom Herzen durch den ganzen Körper trieb.
    »Hab' ich's nicht gesagt!« rief Nikolai. »Sie ist wieder da!«
    »Wer seid ihr?« fragte Natascha. Ihr Blick glitt zu den Waffen und zu den Säcken, die neben ihr lagen.
    »Zuerst, wer bist du?« Washa Krepychew setzte sich auf einen der Säcke. »Was machst du hier?«
    »Natascha Astachowa bin ich. Fedja Iwanowitsch Astachow war Leutnant der Roten Armee. Gefallen ist er. Mit einem Spaten haben sie ihn erschlagen! Im Lager hat's mir der alte Nikitin erzählt. Da bin ich weg, um zu den Freiheitskämpfern in die Sümpfe zu gehen. Aber ich hab's nicht erreicht.«
    »Aber doch, doch, Schwesterchen!«

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