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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geändert. Wie Tiere lebten sie, mit Lebensmitteln, Waffen und Munition versorgt durch die nächtlichen Flieger, die in wasserdichten Kisten und Säcken das Notwendigste auf die mit Leuchtzeichen markierten festen Plätze mitten im Sumpf abwarfen. Auch Zeitungen waren darunter. Die Prawda, die Iswestija, die Komsomolskaja Prawda und sogar die Literatur – naja Caseta, für die Gebildeten unter den Partisanen. Aus ihnen erfuhr man, wie der Krieg überhaupt stand, daß die Deutschen sich immer mehr zurückzogen, daß Rußland nicht verloren war, daß Stalingrad zu einer Wende des Krieges geworden war und den Deutschen eine ganze Armee gekostet hatte.
    »Schwer wird's sein, sie alle zu bekommen«, flüsterte Luka in das Ohr Nataschas. »Nur immer drei … das wird gefährlich, Schwesterchen …«
    Irgendwo, in der Ferne, schrie ein Vogel. Ein Bussard konnte es sein, aber es war der Posten, der das Ende der deutschen Truppen meldete. Alle waren sie jetzt im Sumpf, tastend, suchend, mit mutigen, grimmigen Gesichtern und doch der nackten Angst in den Augen. Und während sie in die Sümpfe gingen, schloß sich hinter ihnen das Tor, wurden in vorbereitete Löcher Minen gelegt und Zugminen an den Wegrand, die die feste Erde wegsprengten und alles wieder einen Sumpf werden ließen.
    Luka nickte, als der Bussard schrie. Er sah hinüber zu der Gruppe, die gerade vorbeiging, dann zog er den Finger durch und schoß. Mit ihm bellte und zischte es von allen Seiten auf die Deutschen herein … sie warfen sich auf den Weg, verzweifelt schossen sie zurück, in das Schilf hinein, ins Leere, von wo ihnen der Tod entgegenflog … sie krochen zu Büschen und flogen dort mit den Zugminen in die Luft, sie liefen zurück, sprangen über die auf dem Wege liegenden Toten und rannten in neue Salven hinein … ein Abschlachten war's, ein greuliches Sterben, ein sinnloses Händeheben und Sichergeben, ein törichtes Betteln und Flehen, ein panisches Suchen nach Schutz und Deckung, wo es nichts gab, als Sumpf und Schilf und in diesem Sumpf die Gnadenlosigkeit des Krieges.
    Vier Männer rannten geduckt zurück, den Minen entgegen, die den Weg am Ausgang des Gebiets abriegelten. Sie wurden nicht mehr beschossen … mit heißen Gewehren lagen die Partisanen und warteten auf das Schauspiel, vier Körper in die Luft wirbeln zu sehen.
    Vorweg rannte ein Oberfeldwebel, ein wenig dicklich, mit trommelnden Beinen. Heiß wurde es ihm. Er riß sich den Helm vom Kopf, warf ihn seitlich in den Sumpf und hetzte weiter. An Natascha und Luka rannte er vorbei, keuchend, mit vorquellenden Augen … ein Mann mit einem Ohr.
    Natascha krallte die Finger in Lukas Oberarm. Ihr Gesicht war bleich wie die Wintersonne. »Er ist's!« stammelte sie. »Luka – er ist's … Erschieß die anderen … nur ihn laß leben … ihn allein … Lebendig muß er sein … hörst du. Kein Härchen soll ihm gekrümmt werden … Bring ihn mir, Luka … schnell –«
    Luka sah kurz zur Seite. Was gab's zu fragen? Natascha wollte es so. Man kenne sich aus bei den Weibern!
    Mit einem Satz sprang Luka aus dem Schilf. Ein paarmal ratterte die Maschinenpistole an seiner Seite … dann war es nur noch der Oberfeldwebel mit dem einen Ohr, der weiterlief, den Minen zu.
    »Stoij!« brüllte Luka. »Stoij!«
    Wie ein Schlag ging es durch den Körper des Oberfeldwebels. Stärker als alle Geschosse traf ihn die urgewaltige Stimme in seinem Rücken. Er blieb stehen, schwankend, keuchend, drehte sich langsam herum und hob die Arme hoch in die Luft.
    »Dawai!« sagte Luka, als er hinter ihm stand. Er stieß ihn in den Rücken und brachte ihn vom Weg weg, über eine ganz schmale, feste Brücke zu der Insel, auf der Natascha bleich im Schilf wartete.
    Als sie sich gegenüberstanden, der deutsche Oberfeldwebel und Natascha Astachowa, erkannten sie sich sofort. Über das Gesicht des Deutschen zog wie eine rote Wolke das Grauen, sein Mund klaffte auseinander, die Augäpfel zitterten, und sein Schrei blieb stecken und gurgelte in der Kehle.
    »Bollmeyer …«, sagte Natascha leise. »Bollmeyer … da bist du endlich –«
    Da stand er, der deutsche Oberfeldwebel, und über sein Gesicht zuckte es immer schneller, und die schiefe Narbe des abgebissenen Ohres schien dick voll Blut zu werden, so schwoll sie an.
    In die Knie sank er plötzlich, umklammerte die Beine Nataschas und drückte sein Gesicht an ihre Schenkel.
    »Gnade!« wimmerte er. »Gnade …«
    Luka kratzte sich den Kopf. Das alles verstand er nicht.

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