Natascha
Krepychew brach noch etwas Brot ab und gab es Natascha. »Wir sind's ja. Unter Führung von Kapitän Kotelnikow. Im Pripjet leben wir. Über vierhundert Männer und Frauen.«
»Wie schön.« Natascha lehnte sich zurück. »Zu euch wollte ich.«
Krepychew wartete, bis der Alkohol durch Nataschas ganzen Körper geflossen war. Dann nahm er die Betrunkene auf seine Schulter und hängte Nikolai, dem Buckligen, die Säcke um den Hals und über die gewölbte Schulter.
»Bin ich ein Esel oder Kamel?!« schrie Nikolai. Er brach fast zusammen unter der Last.
»Ja, Genosse, das bist du!« sagte Krepychew fröhlich. Dann ging er voraus, Natascha umklammernd, und Nikolai folgte ihm ächzend mit der Beute von drei Tagen Kampf im Dunkeln.
Kapitän Iwan Kotelnikow war ein mittelgroßer, breitschultriger Mann mit einem gelblichen, mongolischen Gesicht. Wenn er lachte, sah er aus wie der glückliche Buddha im Tempel von Rangun. Aber er lachte selten. Nur einmal hatte man ihn lachen gesehen, als er drei gefangene deutsche Offiziere um ihr Leben rennen ließ und seine neu ausgebildeten Scharfschützen anwies, ihnen in die Gesäße zu schießen. Als sie taumelnd weiterliefen, beide Hände auf die verwundeten Schenkel gepreßt, da lachte er. Und es war ein Lachen, so grell und grauenhaft, daß die Schützen vergaßen, weiterzuschießen. Mühe hatten sie nachher, die drei Offiziere wieder einzuholen und in den Sumpf zu jagen.
Dieser Iwan Kotelnikow war sehr verwundert, als Washa Krepychew mit der betrunkenen Natascha auf der Schulter durch den Sumpf gewatet kam, bis zu den Knien im moorigen Wasser und nach dem verborgenen Knüppeldamm tastend.
»Was soll's?« schrie Kapitän Kotelnikow. »Schon wieder ein Weib? Und ein hübsches dazu?! Wir sind hier eine Truppe der Roten Armee und kein Bordell, du Idiot! Was soll ich mit dieser Hure?!«
»Natascha Astachowa ist's, Genosse Kapitän. Frau des gefallenen Leutnants Astachow. Sterbend fanden wir sie im Wald. Sie wollte zu uns. Aus dem Gefangenenlager ist sie geflüchtet.«
Kotelnikow musterte das Bündel auf Krepychews Schulter. Eines Kameraden Frau, dachte er. Da kann man nicht sagen: Schickt sie weg!
»Bringt sie in meine Hütte!« befahl er kurz. Krepychew deutete so etwas wie eine stramme Haltung an und trug dann Natascha zu einem der in den Sumpf gegrabenen unsichtbaren Unterstände, die der Architekt aus Smolensk erfunden hatte. In ihnen ließ es sich gemütlich leben, und wenn die deutschen Aufklärungsflugzeuge dauernd über den Pripjetsümpfen kreisten, um die Verstecke der Partisanen zu entdecken, den Männern im Schilf machte es nichts aus. Sie waren wie die Wasserbiber und die Moorratten. Man sah sie einfach nicht, und doch zerfraßen sie das Gebälk.
Am Morgen kroch Natascha aus dem Unterstand ins Freie. Nebel lag über den Sümpfen. Die Herbstsonne sog das Wasser aus dem Moor und legte es als weiße, wallende Schleier über das Land.
Das war ein Tag, an dem Kapitän Kotelnikow seine Truppe schulte. Aus der Luft konnten sie nicht beobachtet werden, in den Sumpf hinein kamen die Deutschen nicht, so sehr sie sich auch bemühten, die geheimen, unter der Oberfläche liegenden Pfade zu entdecken.
Kommandos hallten durch die Nebelschleier, als Natascha aus dem Bunker kroch. Man hörte es klatschen, rhythmisch, in genauen Abständen. Erinnerungen tauchten in ihr auf. Der Kasernenhof in Smolensk, direkt unter ihrem Fenster. Die Rekruten, die mit den Gewehren exerzierten. Es waren die gleichen Kommandos, die gleichen Geräusche, wenn die Gewehre durch die Hände und über die Schulter fielen.
Sie ging den Geräuschen nach. Umgeben von hohen Schilfwänden und Weidenbäumen fand sie einen mäßig großen Platz. Auf ihm marschierten einige Gruppen herum, übten Gewehrgriffe oder zielten auf Scheiben, die man an Bäume genagelt hatte. Kapitän Kotelnikow und Washa Krepychew befehligten die Gruppen. Alte Männer waren es, mit langen Bärten wie ein Pope, und junge versprengte Soldaten, zum Teil verwundet, hinkend, einen Arm in der Schlinge, kahlrasiert die Schädel. Aber sie nahmen den Dienst ernst und bemühten sich, vor den Augen Kotelnikows zu bestehen.
»Ah, unser lahmes Vögelchen!« rief Kapitän Kotelnikow, als er Natascha aus dem Nebel auftauchen sah. »Was sollen wir mit dir machen? Ich überleg's schon den ganzen Tag! So wie du aussiehst, kann dich der nächste Wind gegen die Bäume wehen. Kannst du kochen?«
»Kochen? Gewinnt Rußland im Kochtopf den Krieg?« Natascha
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