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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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Offenbarungen den Abend verdorben hatte. Wie hatte er es geschafft, nicht zu merken, dass das nicht der richtige Zeitpunkt war? Sie war noch nicht so weit. Man musste langsam vorgehen, schrittweise. Und er hatte losgelegt wie ein Irrer, in einem Höllentempo, und hatte in zwei Minuten viele Jahre der Sehnsucht aufholen wollen. Alles nur, weil der Abend so schön, so vielversprechend angefangen hatte. Dieser Einstieg hatte ihm die Zuversicht des forschen Mannes eingeflößt.
    Er nahm sich zusammen: Es war schließlich sein gutes Recht zu sagen, was ihm am Herzen lag. Seine Gefühle zu zeigen, war doch kein Verbrechen. Nun ja, schon richtig, dass mit ihr alles kompliziert war, ihr Witwendasein machte allesnoch viel schwerer. Er dachte, dass er größere Chancen gehabt hätte, sie zu verführen, wenn François noch am Leben gewesen wäre. Durch seinen Tod war ihre Liebe auf dem damaligen Stand geblieben. François hatte sie in eine unveränderliche Ewigkeit gemeißelt. Wie entfachte man unter solchen Umständen bei einer Frau auch nur den Hauch von Interesse? Bei einer Frau, deren Welt zum Stillstand gekommen war. Man konnte wirklich an den Punkt kommen, sich zu fragen, ob er sich nicht absichtlich umgebracht hatte, um ihre Liebe für die Ewigkeit zu bewahren. Manche Leute meinen ja, eine Leidenschaft müsse ein tragisches Ende haben.

 
28
    Sie verließen das Restaurant. Die Situation wurde immer beklemmender. Charles rang vergeblich um pfiffige und geistreiche Bemerkungen, um den Humor, an dem er sich ein wenig hätte aufrichten können. Mit dem er zur leichten Entspannung der Atmosphäre hätte beitragen können. Nichts zu machen, sie saßen in der Patsche. Über Monate hinweg hatte er sich als empfindsam und zuvorkommend erwiesen, als respektvoll und zuverlässig, und plötzlich waren all seine Bemühungen, einen anständigen Kerl abzugeben, zunichte, da er es nicht verstanden hatte, sich zu beherrschen. Sein Körper fühlte sich an wie eine zerstückelte Groteske, injedem Gliedmaß schlug ein Herz für sich. Er versuchte, Nathalies Wange zu küssen, was als ungezwungene und freundschaftliche Geste gedacht war, doch sein steifer Hals bereitete Probleme. Er schmorte in diesem Moment noch eine Weile fort, eitle Sekunden plätschern nur langsam dahin.
    Da schenkte ihm Nathalie plötzlich ein breites Lächeln. Sie wollte ihm bedeuten, dass das alles nicht so schlimm war. Dass es wohl besser sei, diesen Abend schnell zu vergessen, Schwamm drüber. In einem weichen Tonfall meinte sie, sie habe Lust, ein wenig zu laufen, und damit machte sie sich auf. Charles beobachtete sie weiter, sah ihrem Rücken hinterher. Reglos stand er da, erstarrt in seiner Niederlage. Da schwand sie dahin, in seinem Blickfeld wurde sie immer kleiner, dabei war doch er derjenige, der immer kleiner wurde, der schrumpfte, obwohl er sich nicht vom Fleck rührte.
    Dann hielt Nathalie inne.
    Und machte kehrt.
    Sie kam erneut auf ihn zu. Die Frau, die sich eben noch angeschickt hatte, sich aus seinem Gesichtskreis zu entfernen, wurde, indem sie sich auf ihn zu bewegte, immer größer. Was wollte sie? Er durfte jetzt nicht hektisch werden. Bestimmt hatte sie ihre Schlüssel, einen Schal oder einen der vielen Gegenstände liegen gelassen, die Frauen gern liegen lassen. Oh nein, sie wollte etwas anderes. Das merkte man an ihrem Gang. Man spürte, dass sie es nicht auf einen materiellen Gegenstand abgesehen hatte. Dass sie zurückkam, um mit ihm zu reden, um ihm etwas zu sagen. Ihr Gang hatte etwasLuftiges, sie ging wie die Heldin aus einem italienischen Film von 1967. Er wollte auch gehen, auf sie zu. In einer romantischen Abschweifung träumte er davon, wie es nun zu regnen begann. Die Gesprächspausen gegen Ende waren nichts als ein Missverständnis gewesen. Sie kam zurück, nicht um mit ihm zu reden, sondern um ihn zu küssen. Das war in der Tat erstaunlich: In dem Augenblick, in dem sie sich losgemacht hatte, hatte er die Eingebung gehabt, er dürfe sich nicht bewegen, sie würde zurückkommen. Denn es lag auf der Hand, da war etwas zwischen ihnen, stark und zerbrechlich, und so war es von Anfang an gewesen. Man musste sie schon verstehen. Es war nicht leicht für sie, sich die Gefühle, die sie für ihn hegte, einzugestehen, wo doch erst ihr Mann gestorben war. Das war sogar brutal. Und dennoch, wie hätte sie ihm widerstehen können? Die Liebe kennt oft keine Moral.
    Göttlich bebend stand sie nun vor ihm, ganz dicht, die wollüstige Fleischwerdung

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