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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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worden zu sein. Alles, was sie über dieLiebe gewusst hatte, war vernichtet worden. Ihr Herz stand auf Ruinen. Auf Markus’ Verhalten und die Tatsache, dass er sie nicht mehr ansah, konnte sie sich keinen Reim machen. Das war wirklich ein Theater. Es sei denn, er hatte einen Knall. Ein leichter Anflug von Wahnsinn erschien ihr mehr als wahrscheinlich. Sie dachte nicht etwa: Um eine Frau nicht sehen zu wollen, muss man sie wahrhaft lieben. Nein, auf diesen Gedanken kam sie nicht. Sie war schlicht und ergreifend verwirrt.
     
     
    1 Es ist eine legitime Frage, ob es den Zufall überhaupt gibt. Vielleicht halten sich die Menschen, denen wir begegnen, ja ständig in unserem Dunstkreis auf, weil sie immer hoffen, uns zu treffen? Wenn man mal darüber nachdenkt: Stimmt, sie sind oft ganz außer Atem.

 
68
    Drei Gerüchte bezüglich Björn Andrésen,
des Schauspielers, der in Luchino Viscontis Film

Tod in Venedig
die Rolle des Tadzio spielte
[ 1 ]
    Er hat in New York einen schwulen Schauspieler umgebracht.
    Er ist bei einem Flugzeugabsturz über Mexiko ums Leben gekommen.
    Er hat nach Abschluss der Dreharbeiten nur noch grünen Salat gegessen.
     
     
    1 Anmerkung des Übersetzers: Björn Andrésen ist übrigens Schwede.

 
69
    Markus war nicht nach Arbeiten zumute. Ins Leere starrend, stand er am Fenster. Er war noch immer von Nostalgie erfüllt, um es genauer zu sagen: von einer törichten Nostalgie. Von der Vorstellung, dass unsere dunkle Vergangenheit trotz allem über einen gewissen Charme verfügt. Seine Kindheit, so armselig sie auch gewesen sein mag, erschien ihm in diesem Augenblick als der Born des Lebens. Einzelne Momente kamen ihm in den Sinn, denen immer etwas Schwülstiges angehaftet hatte und die ihm nun ergreifend vorkamen. Überall war er bereit, Zuflucht zu suchen, Hauptsache, er entkam der Gegenwart. Indes hatte ihn in den vergangenen Tagen eine Art romantischer Traum eingeholt, in dem er eine schöne Frau ins Theater ausführte. Woher kam dieses starke Bedürfnis, seinen Entschluss wieder rückgängig zu machen? Zweifellos gab es einen einfachen Grund dafür, der sich wie folgt bestimmen lässt:
die Angst vor dem Glück
. Es heißt, dass man im Augenblick des Todes noch einmal die schönsten Bilder seines Lebens an sich vorüberziehen sieht. Insofern klingt es einleuchtend, dass in dem Moment, in dem das Glück mit einem beinahe besorgniserregenden Lächeln auf den Lippen vor einem steht, noch einmal die Untergänge und Pleiten der Vergangenheit an einem vorüberziehen.
    Nathalie hatte ihn gebeten, in ihr Büro zu kommen, und er hatte Nein gesagt.
    «Ich will mich gern mit Ihnen treffen, aber lieber am Telefon», waren seine Worte.
    «Mich am Telefon treffen? Sind sie sicher, dass Sie noch alle Tassen im Schrank haben?»
    «Ja, vielen Dank. Ich will Sie bloß bitten, mir ein paar Tage nicht unter die Augen zu treten. Das ist das Einzige, worum ich Sie bitte.»
    Sie war zunehmend konsterniert. Und dennoch fühlte sie sich zeitweilig immer noch angezogen von so viel Absonderlichkeit. Das Feld der offenen Fragen war weit. Sie überlegte, ob hinter seiner Haltung nicht doch so etwas wie Kalkül steckte. Oder eine moderne Form eines in der Liebe aufgekommenen Humors? Freilich irrte sie sich. Markus hatte sich mit einer erschreckenden Witzlosigkeit getarnt.
    Am Ende des Tages beschloss sie, seinen Empfehlungen nicht weiter zu folgen, und trat in sein Büro. Er wandte auf der Stelle seinen Blick ab.
    «Sie haben wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank! Außerdem kommen Sie herein, ohne zu klopfen.»
    «Weil ich will, dass Sie mich ansehen.»
    «Ich will aber nicht.»
    «Ist das immer so Ihre Art? Das wird doch wohl nicht an dem Rotweinglas liegen?»
    «In gewisser Weise doch.»
    «Sie machen das mit Absicht. Um mir Rätsel aufzugeben, stimmt’s? Ich muss sagen, der Trick funktioniert.»
    «Nathalie, ich versichere Ihnen, es gibt nichts zu verstehen außer dem, was ich Ihnen schon gesagt habe. Ich will mich schützen, sonst nichts. Das ist nicht schwer zu begreifen.»
    «In der Pose werden Sie sich noch den Nacken verdrehen.»
    «Ich hab’s lieber am Nacken als am Herzen.»
    Nach diesem letzten Satz, der ihr wie eine Redensart, ein Sprichwort oder wie ein einziges langes Wort (lieberamnackenalsamherzen) vorgekommen war, stand sie einen Moment unentschlossen im Raum herum. Dann holte sie Luft:
    «Und wenn ich aber will, dass wir uns sehen? Und wenn ich aber will, dass wir Zeit zusammen verbringen? Und wenn

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