Nathan der Weise
-
Ganz recht: den nannt’ einmal das Volk den Weisen!
Den
Reichen
auch.
SITTAH.
Den Reichen nennt es ihn
30
Itzt mehr als je. Die ganze Stadt erschallt,
Was für Kostbarkeiten, was für Schätze
Er
mitgebracht.
AL-HAFI.
Nun, ist’s der Reiche wieder:
So wird’s auch wohl der Weise wieder sein.
SITTAH.
Was meinst du, Hafi, wenn du diesen angingst?
AL-HAFI.
Und was bei ihm? - Doch wohl nicht borgen? - Ja,
Da kennt Ihr ihn. - Er borgen! - Seine Weisheit
Ist eben, daß er niemand borgt.
SITTAH. Du
hast
Mir sonst doch ganz ein ander Bild von ihm
Gemacht.
AL-HAFI.
Zur Not wird er Euch Waren borgen.
Geld aber, Geld? Geld nimmermehr. - Es ist
Ein Jude freilich übrigens, wie’s nicht
Viel Juden gibt. Er hat Verstand; er weiß
Zu leben; spielt gut Schach. Doch zeichnet er
Im Schlechten sich nicht minder, als im Guten
Von allen andern Juden aus. - Auf den,
Auf den nur rechnet nicht. - Den Armen gibt
Er zwar; und gibt vielleicht trotz Saladin.
Wenn schon nicht ganz so viel; doch ganz so gern;
Doch ganz so sonder Ansehn. Jud’ und Christ
Und
Muselmann
und
Parsi, alles ist
Ihm
eins.
SITTAH.
Und so ein Mann …
SALADIN.
Wie kommt es denn,
Daß ich von diesem Manne nie gehört? …
SITTAH.
Der sollte Saladin nicht borgen? nicht
Dem Saladin, der nur für andre braucht,
Nicht
sich?
AL-HAFI.
Da seht nun gleich den Juden wieder;
Den ganz gemeinen Juden! - Glaubt mir’s doch! -
Er ist aufs Geben Euch so eifersüchtig,
So neidisch! Jedes Lohn von Gott, das in
Der Welt gesagt wird, zög’ er lieber ganz
Allein. Nur darum eben leiht er keinem,
Damit er stets zu geben habe. Weil
Die Mild’ ihm im Gesetz geboten; die
Gefälligkeit ihm aber nicht geboten: macht
Die Mild’ ihn zu dem ungefälligsten
Gesellen auf der Welt. Zwar bin ich seit
Geraumer Zeit ein wenig übern Fuß
Mit ihm gespannt; doch denkt nur nicht, daß ich
Ihm darum nicht Gerechtigkeit erzeige.
Er ist zu allem gut: bloß dazu nicht;
Bloß dazu wahrlich nicht. Ich will auch gleich
Nur gehn, an andre Türen klopfen … Da
31
Besinn ich mich soeben eines Mohren,
Der reich und geizig ist. - Ich geh; ich geh.
SITTAH.
Was eilst du, Hafi?
SALADIN.
Laß ihn! laß ihn!
DRITTER
AUFTRITT
Sittah.
Saladin.
SITTAH. Eilt
Er doch, als ob er mir nur gern entkäme!
Was heißt das? - Hat er wirklich sich in ihm
Betrogen, oder - möcht’ er uns nur gern
Betrügen?
SALADIN.
Wie? das fragst du mich? Ich weiß
Ja kaum, von wem die Rede war; und höre
Von euerm Juden, euerm Nathan heut
Zum
erstenmal.
SITTAH.
Ist’s möglich? daß ein Mann
Dir so verborgen blieb, von dem es heißt,
Er habe Salomons und Davids Gräber
Erforscht, und wisse deren Siegel durch
Ein mächtiges geheimes Wort zu lösen?
Aus ihnen bring’ er dann von Zeit zu Zeit
Die unermeßlichen Reichtümer an
Den Tag, die keinen mindern Quell verrieten.
SALADIN. Hat
seinen
Reichtum dieser Mann aus Gräbern,
So waren’s sicherlich nicht Salomons,
Nicht Davids Gräber. Narren lagen da
Begraben!
SITTAH.
Oder Bösewichter! - Auch
Ist seines Reichtums Quelle weit ergiebiger,
Weit unerschöpflicher, als so ein Grab
Voll
Mammon.
SALADIN. Denn
er
handelt; wie ich hörte.
SITTAH.
Sein Saumtier treibt auf allen Straßen, zieht
Durch alle Wüsten; seine Schiffe liegen
In allen Häfen. Das hat mir wohl eh’
Al-Hafi selbst gesagt; und voll Entzücken
Hinzugefügt, wie groß, wie edel dieser
Sein Freund anwende, was so klug und emsig
Er zu erwerben für zu klein nicht achte:
Hinzugefügt, wie frei von Vorurteilen
Sein Geist; sein Herz wie offen jeder Tugend,
Wie eingestimmt mit jeder Schönheit sei.
SALADIN.
Und itzt sprach Hafi doch so ungewiß,
So kalt von ihm.
32
SITTAH.
Kalt nun wohl nicht; verlegen.
Als halt’ er’s für gefährlich, ihn zu loben,
Und woll’ ihn unverdient doch auch nicht tadeln. -
Wie? oder wär’ es wirklich so, daß selbst
Der Beste seines Volkes seinem Volke
Nicht ganz entfliehen kann? daß wirklich sich
Al-Hafi seines Freunds von dieser Seite
Zu schämen hätte? - Sei dem, wie ihm wolle! -
Der Jude sei mehr oder weniger
Als Jud’, ist er nur reich: genug für uns!
SALADIN.
Du willst ihm aber doch das Seine mit
Gewalt nicht nehmen, Schwester?
SITTAH.
Ja, was heißt
Bei dir Gewalt? Mit Feu’r und Schwert? Nein, nein,
Was braucht es mit den Schwachen für Gewalt,
Als ihre Schwäche?
Weitere Kostenlose Bücher