Nathan der Weise
Lächeln Ihr? wie ich noch erst in Mienen,
1670
In zweifelhaften Mienen lesen will,
Was ich so deutlich hör, Ihr so vernehmlich
Mir sagt – verschweigt? – Ah Recha! Recha! Wie
Hat er so wahr gesagt: »Kennt sie nur erst!«
RECHA . Wer hat? – von wem? – Euch das gesagt?
TEMPELHERR . »Kennt sie
Nur erst!« hat Euer Vater mir gesagt;
Von Euch gesagt.
DAJA . Und ich nicht etwa auch?
Ich denn nicht auch?
TEMPELHERR . Allein wo ist er denn?
Wo ist denn Euer Vater? Ist er noch
Beim Sultan?
RECHA . Ohne Zweifel.
TEMPELHERR . Noch, noch da? –
1680
O mich Vergesslichen! Nein, nein; da ist
Er schwerlich mehr. – Er wird dort unten bei
Dem Kloster meiner warten; ganz gewiss.
So red’ten, mein ich, wir es ab. Erlaubt!
Ich geh, ich hol ihn …
DAJA . Das ist meine Sache.
Bleibt, Ritter, bleibt. Ich bring ihn unverzüglich.
TEMPELHERR .
Nicht so, nicht so! Er sieht mir selbst entgegen;
Nicht Euch. Dazu, er könnte leicht … wer weiß? …
Er könnte bei dem Sultan leicht, … Ihr kennt
Den Sultan nicht! … leicht in Verlegenheit
1690
Gekommen sein. – Glaubt mir; es hat Gefahr,
Wenn ich nicht geh.
RECHA . Gefahr? was für Gefahr?
TEMPELHERR . Gefahr für mich, für Euch, für ihn: wenn ich
Nicht schleunig, schleunig geh.
(Ab.)
Dritter Auftritt
RECHA
und
DAJA .
RECHA . Was ist das, Daja? –
So schnell? – Was kömmt ihm an? Was fiel ihm auf?
Was jagt ihn?
DAJA . Lasst nur, lasst. Ich denk, es ist
Kein schlimmes Zeichen.
RECHA . Zeichen? und wovon?
DAJA . Dass etwas vorgeht innerhalb. Es kocht,
Und soll nicht überkochen. Lasst ihn nur.
Nun ist’s an Euch.
RECHA . Was ist an mir? Du wirst,
Wie er, mir unbegreiflich.
1700
DAJA . Bald nun könnt
Ihr ihm die Unruh’ all vergelten, die
Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch
Nicht allzu streng, nicht allzu rachbegierig.
RECHA . Wovon du sprichst, das magst du selber wissen.
DAJA . Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder?
RECHA . Das bin ich; ja das bin ich …
DAJA . Wenigstens
Gesteht, dass Ihr Euch seiner Unruh’ freut;
Und seiner Unruh’ danket, was Ihr itzt
Von Ruh’ genießt.
RECHA . Mir völlig unbewusst!
1710
Denn was ich höchstens dir gestehen könnte,
War, dass es mich – mich selbst befremdet, wie
Auf einen solchen Sturm in meinem Herzen
So eine Stille plötzlich folgen können.
Sein voller Anblick, sein Gespräch, sein Tun
Hat mich …
DAJA . Gesättigt schon?
RECHA . Gesättigt, will
Ich nun nicht sagen; nein – bei weitem nicht –
DAJA . Den heißen Hunger nur gestillt.
RECHA . Nun ja;
Wenn du so willst.
DAJA . Ich eben nicht.
RECHA . Er wird
Mir ewig wert; mir ewig werter, als
1720
Mein Leben bleiben: wenn auch schon mein Puls
Nicht mehr bei seinem bloßen Namen wechselt;
Nicht mehr mein Herz, sooft ich an ihn denke,
Geschwinder, stärker schlägt – Was schwatz ich? Komm,
Komm, liebe Daja, wieder an das Fenster,
Das auf die Palmen sieht.
DAJA . So ist er doch
Wohl noch nicht ganz gestillt, der heiße Hunger.
RECHA . Nun werd ich auch die Palmen wieder sehn:
Nicht ihn bloß untern Palmen.
DAJA .
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