Nathan der Weise
Nathan zu der andern herein; und Saladin hat sich gesetzt.)
Fünfter Auftritt
SALADIN
und
NATHAN .
SALADIN . Tritt näher, Jude! – Näher! – Nur ganz her! –
Nur ohne Furcht!
NATHAN . Die bleibe deinem Feinde!
SALADIN . Du nennst dich Nathan?
NATHAN . Ja.
SALADIN . Den weisen Nathan?
NATHAN . Nein.
1800
SALADIN . Wohl! nennst du dich nicht; nennt dich das Volk.
NATHAN . Kann sein; das Volk!
SALADIN . Du glaubst doch nicht, dass ich
Verächtlich von des Volkes Stimme denke? –
Ich habe längst gewünscht, den Mann zu kennen,
Den es den Weisen nennt.
NATHAN . Und wenn es ihn
Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise
Nichts weiter wär als klug? und klug nur der,
Der sich auf seinen Vorteil gut versteht?
SALADIN . Auf seinen wahren Vorteil, meinst du doch?
NATHAN . Dann freilich war der Eigennützigste
1810
Der Klügste. Dann war freilich klug und weise
Nur eins.
SALADIN . Ich höre dich erweisen, was
Du widersprechen willst. – Des Menschen wahre
Vorteile, die das Volk nicht kennt – kennst du.
Hast du zu kennen wenigstens gesucht;
Hast drüber nachgedacht: das auch allein
Macht schon den Weisen.
NATHAN . Der sich jeder dünkt
Zu sein.
SALADIN . Nun der Bescheidenheit genug!
Denn sie nur immerdar zu hören, wo
Man trockene Vernunft erwartet, ekelt.
(Er springt auf.)
1820
Lass uns zur Sache kommen! Aber, aber
Aufrichtig, Jud’, aufrichtig!
NATHAN . Sultan, ich
Will sicherlich dich so bedienen, dass
Ich deiner fernem Kundschaft würdig bleibe.
SALADIN . Bedienen? wie?
NATHAN . Du sollst das Beste haben
Von allem; sollst es um den billigsten
Preis haben.
SALADIN . Wovon sprichst du? doch wohl nicht
Von deinen Waren? – Schachern wird mit dir
Schon meine Schwester. (Das der Horcherin!) –
Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu tun.
1830
NATHAN . So wirst du ohne Zweifel wissen wollen,
Was ich auf meinem Wege von dem Feinde,
Der allerdings sich wieder reget, etwa
Bemerkt, getroffen? – Wenn ich unverhohlen …
SALADIN . Auch darauf bin ich eben nicht mir dir
Gesteuert. Davon weiß ich schon, so viel
Ich nötig habe. – Kurz; –
NATHAN . Gebiete, Sultan.
SALADIN . Ich heische deinen Unterricht in ganz
Was anderm; ganz was anderm. – Da du nun
So weise bist: so sage mir doch einmal –
1840
Was für ein Glaube, was für ein Gesetz
Hat dir am meisten eingeleuchtet?
NATHAN . Sultan,
Ich bin ein Jud’.
SALADIN . Und ich ein Muselmann.
Der Christ ist zwischen uns. – Von diesen drei
Religionen kann doch eine nur
Die wahre sein. – Ein Mann, wie du, bleibt da
Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt
Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt,
Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern.
Wohlan! so teile deine Einsicht mir
1850
Dann mit. Lass mich die Gründe hören, denen
Ich selber nachzugrübeln, nicht die Zeit
Gehabt. Lass mich die Wahl, die diese Gründe
Bestimmt, – versteht sich, im Vertrauen – wissen,
Damit ich sie zu meiner mache. – Wie?
Du stutzest? wägst mich mit dem Auge? – Kann
Wohl sein, dass ich der erste Sultan bin,
Der eine solche Grille hat; die mich
Doch eines Sultans eben nicht so ganz
Unwürdig dünkt. – Nicht wahr? – So rede doch!
1860
Sprich! – Oder willst du einen Augenblick,
Dich zu bedenken? Gut; ich geb ihn dir. –
(Ob sie wohl horcht? Ich will sie doch belauschen;
Will hören, ob ich’s recht gemacht. –) Denk nach!
Geschwind denk nach! Ich säume nicht, zurück-
Zukommen.
(Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem sich Sittah begeben.)
Sechster Auftritt
NATHAN
allein
.
Hm! hm! – wunderlich! – Wie ist
Mir denn? – Was will der Sultan? was? – Ich
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