Nathanael
nur für Gedanken in den Sinn?
Tessa war es nicht möglich, den Blick abzuwenden. Sie starrte auf seine vollen, geschwungenen Lippen, die sich zu diesem unwiderstehlichen Lächeln kräuselten, das sich seit der Metro in ihr Hirn gebrannt hatte. Fast hätte sie mit dem Finger sein Kinngrübchen berührt.
Sie leckte nervös mit der Zunge über ihre spröden Lippen, was er als Einladung zu einem Kuss zu interpretieren schien, denn er beugte sich vor und spitzte die Lippen. Reglos stand Tessa da und wurde erst aus ihrer Erstarrung gerissen, als sich hinter ihr mit einem Klingelton die Aufzugtüren öffneten.
Sie stolperte rückwärts in den Aufzug und drückte hastig auf den Knopf, um die Türen zu schließen. Wider Erwarten machte er keine Anstalten, ihr zu folgen. Ohne dass sie es gewollt hätte, enttäuschte es sie, dass er so schnell aufgab. Mit einem Summen begannen die Türen sich zu schließen. Ein unergründlicher, aber warmer Ausdruck lag in seinen Augen, der sie mehr berührte, als ihr lieb war.
«Du kannst vor mir, aber nicht vor deinen Gefühlen davonlaufen», flüsterte er.
Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als die Türen sich schlossen und der Aufzug sich in Bewegung setzte. Nathanaels Worte klangen in ihr nach.
Du kannst nicht vor deinen Gefühlen davonlaufen .
Mit seinen Worten hatte er ins Schwarze getroffen. Ja, sie lief vor ihm und ihren Gefühlen davon. Ihr Leben war geordnet, und das war gut so. Vor allem wollte sie nicht, dass sich jemand in ihre Beziehung mit Steven drängte.
Tessa lehnte sich an die Wand und verfolgte die Stockwerksanzeige in der Hoffnung, sich durch Ablenkung zu beruhigen. Aber ihr Puls raste noch immer.
Außer ihr befand sich noch ein Pärchen mittleren Alters im Aufzug, das sie neugierig musterte. Befanden sie sich etwa auf dem Weg zu Stevens Feier? Nicht auszudenken, wenn die beiden Steven kannten und ihm erzählen würden, was eben geschehen war.
Sie heftete den Blick fest auf ihre Schuhspitzen. Hoffentlich sah man ihr nicht an, wie aufgewühlt sie war. Was wäre geschehen, wenn er ihr in den Lift gefolgt wäre? Es war besser, nicht darüber nachzudenken. Er besaß eine Anziehungskraft, der sie offensichtlich nur schwer widerstehen konnte.
Der Aufzug hielt und das Pärchen stieg aus. Tessa atmete erleichtert auf, weil die beiden nicht zu Stevens Gästen gehörten. Der Aufzug hielt im nächsten Stockwerk, und ehe sie protestieren konnte, trat der Fremde ein. Überrascht machte sie einen Schritt zurück und die Türen schlossen sich wieder.
Der Aufzug setzte sich in Bewegung. Das Herz hämmerte ihr bis zum Hals. Noch zehn Stockwerke bis zum Saal, zählte sie im Geist.
Der Fremde streckte den Arm aus und betätigte einen Schalter. Mit einem Ruck blieb der Aufzug stecken.
«Hey, was soll das?» Tessa beugte sich vor, um den Schalter wieder umzulegen und die Fahrt fortzusetzen. Doch der Ausdruck in seinem Gesicht ließ sie innehalten. Sein Blick besaß etwas Hypnotisches, das sie lähmte.
Sie starrte in seine dunklen Augen mit den goldenen Einsprengseln. Langsam neigte sein Kopf sich zu ihr herab, bis seine Lippen sich auf ihre legten. Sein Kuss schmeckte nach Schokolade und war verführerisch sanft. Tessa umklammerte den Haltegriff hinter ihr, weil ihr die Beine nachgaben.
Seine Zunge öffnete ihre Lippen, tauchte in ihren Mund und schickte eine Flamme des Verlangens durch ihren Körper. Sie schloss die Augen und stöhnte leise in seinen Mund, als er seine Hände auf ihr Gesäß legte, um sie näher an sich heranzuziehen. Deutlich spürte sie seine Erektion an ihrem Bauch, die eine Welle ungeahnter Lust in ihr auslöste.
Wie von selbst schlangen sich ihre Arme um seinen Nacken, während ihre Zunge gierig nach der seinen suchte. Sie vergaß alles um sich herum und gab sich ganz dem köstlichen Geschmack seines Kusses hin.
Plötzlich ruckte der Aufzug und Tessa schlug die Augen auf. Der Fremde löste sich von ihr. Verwirrt sah sie ihn an. Sie spürte, wie ihre Wangen vor Erregung glühten.
Er tippte ihr mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze und lächelte. «Du schmeckst noch besser, als ich es mir vorgestellt habe», flüsterte er.
Genauso schnell, wie er in den Aufzug gestiegen war, schlüpfte er hinaus, als sich die Tür im nächsten Stockwerk öffnete.
Die eben empfundene Lust wich einem plötzlichen Schamgefühl. Wie sollte sie jetzt Steven begegnen, ihm in die Augen sehen? Sie hätte ihn fast mit dem Fremden im Aufzug betrogen. Was war nur
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