Nathaniel und Victoria, Band 2: Unter höllischem Schutz (German Edition)
und die Ränder vergilbt.
Der Friedhofswärter kehrte mit einer vollgepackten Sporttasche ins Wohnzimmer zurück.
»Darf ich Sie etwas fragen?«, sagte ich. »Sind Sie das auf dem Foto?«
Er warf einen Blick auf das Bild und nickte.
»Und die Frau …?«
»Ihr Name war Rosa«, sagte er. Ein Lächeln aus vergangener Zeit erschien plötzlich auf seinen Lippen.
»Sind Sie ihretwegen zum Erdengänger geworden?«, fragte ich leise.
Er nickte. »Sie war eine fantastische Frau.«
»Wann wurde dieses Bild aufgenommen?«
»1935.«
Ich rechnete im Kopf nach und starrte Adalbert ungläubig an.
»Aber dann wären Sie …«
»Nicht zu alt, um dir Respekt beizubringen«, knurrte er und warf mir meine Jacke zu. »Kommt jetzt, machen wir uns auf den Weg, bevor ich es mir anders überlege!«
Wir fuhren in die Stadt. Es war kurz nach 22 Uhr, als wir vor dem Stephansdom standen.
»Die Tore sind längst versperrt und hier sind immer noch viel zu viele Menschen unterwegs«, murmelte ich. »Wie sollen wir …? He, warten Sie auf mich!«
Adalbert Kaster war um den Dom herum marschiert. An der verwinkelten Rückseite gab es neben den Figuren des Kreuzgangs eine unscheinbare kleine Tür. Adalbert kramte in seiner Sporttasche und zog ein kleines Werkzeug hervor.
»Pass auf, ob jemand kommt«, brummte er und machte sich am Türschloss zu schaffen.
Hastig sah ich mich um, doch auf der Rückseite des Doms waren keine Passanten unterwegs. Ungläubig beobachtete ich den alten Mann dabei, wie er das Türschloss geschickt aufbrach.
»Woher können Sie das denn?«, fragte ich verblüfft, als er die Tür aufdrückte und mich unsanft hindurchschob.
»Ich konnte auch schon früher Türen öffnen«, murmelte er und steckte den Dietrich wieder ein. »Allerdings verwende ich jetzt etwas andere Methoden dafür.«
»Warten Sie … soll das etwa heißen, Sie waren früher einmal ein Schutzengel? «
»Willst du jetzt meine Memoiren hören oder dieses Kreuz finden? Komm endlich, bevor man uns entdeckt!«
Ramiel blieb an meiner Seite, als wir leise durch den alten Dom schlichen. Der Schimmer des Engels erhellte uns den Weg.
Das mittlere Kirchenschiff war von hohen Säulen umgeben, die in der Dunkelheit in der hohen Decke verschwanden. Es gab einen prachtvollen Altar, schmale bunte Fenster und eine riesige Orgel über dem Eingang.
»Herr Wagner sagte, dieser Bischof wurde im linken Kirchenschiff beigesetzt«, flüsterte ich.
Adalbert schlich voraus und Ramiel und ich folgten ihm. Wir kamen an einigen Nischen mit kleinen Kapellen und uralten Särgen vorbei, bis Adalbert schließlich vor einem der Särge stehen blieb. Der Sarg war riesig und aus massivem Stein.
»Ich glaube, das ist er«, brummte er und leuchtete mit seiner Taschenlampe auf die Inschrift. »Bischof Konstantin. 1704 - 1752. Halt das.« Er drückte mir die Taschenlampe in die Hand und kramte in seiner Sporttasche.
»Beeilen Sie sich!«, flüsterte ich.
Herr Kaster zog etwas hervor, das wie eine Slackline aussah und blickte Ramiel auffordernd an. »Jetzt bist du dran.«
Der Engel zögerte. » Ich soll …?«
Adalberts Gesichtsausdruck wurde wütend und er holte so tief Luft, dass ich dachte, er würde gleich losbrüllen.
»Ist ja gut!«, sagte Ramiel schnell. »Ich mach's ja! Aber wenn ich deswegen falle, müsst ihr uns beide retten!«
Der Engel legte seine Hände an den massiven Deckel des steinernen Sargs. Mit einem schmirgelnden Knarren rutschte der Deckel einen Spaltbreit zur Seite.
»Das genügt«, flüsterte Adalbert und schnürte die Slackline um den steinernen Deckel. Dann stemmte er seinen Fuß gegen den Sarg und riss ein paarmal mit einem festen Ruck an. Der Deckel rutschte immer weiter zur Seite, bis der Spalt etwa handbreit war.
Adalbert sah mich ungeduldig an. »Worauf wartest du? Mein Arm passt da bestimmt nicht durch!«
Ich trat zögernd an den offenen Sarg heran. Darin lagen die Überreste des Bischofs, seine Knochen, sein Totengewand aus Brokatstoff … und etwas, das glitzerte. Das musste das Kreuz sein! Ich hob meine Hand und musste mich überwinden, sie durch den Spalt in den Sarg zu stecken.
»Jetzt mach schon endlich!«, drängte Adalbert. »Da kommt jemand!«
Ich hörte die Schritte ebenfalls. Mit zusammengebissenen Zähnen steckte ich meinen Arm hinein, tastete blind nach dem Kreuz und bekam es zu fassen.
»Es steckt fest!«, keuchte ich leise.
»Mach schneller!«, zischte Adalbert und blickte sich nervös um. Ich zog und zerrte an dem
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