Nathaniels Seele
draußen in der Prärie nach Visionen suchte. Ich spürte Verwirrung, aber auch das Wissen um eine schlafende Macht, die nur darauf wartete, geweckt zu werden.
Als ich die Nähe des Generals spürte, vergaß ich meine Frau und meinen Sohn. Ich vergaß meinen Wunsch, ihnen zu folgen und sogar das, was kurze Zeit vorher geschehen war. Es gab kein Gestern und kein Morgen mehr. Alles, was mich erfüllte, war der Wille, zu töten. Ich huschte auf die Veranda des Hauses und stieß die Tür auf. Nichts konnte mich jetzt noch aufhalten. Nicht einmal eine Horde Soldaten, die mich mit ihren Kugeln durchsiebten. Einmal war ich in dieser Nacht bereits gestorben. Was spielte es für eine Rolle, wenn es ein zweites Mal geschah?
‚Ich wusste, dass du kommst‘, raunte eine Stimme, als ich die Tür hinter mir zuzog.
Der General stand vor seinem Schreibtisch, bewegungslos und unbewaffnet. Er wandte sich nicht einmal um, als ich so nahe hinter ihn trat, dass wir uns beinahe berührten. Im großen Feldsteinkamin knisterten Flammen. Ihr Licht tanzte über helle Holzwände, Antilopenfelle, Hirschgeweihe und Bücher, die in hohen Regalen aufgereiht waren. Auf einem polierten Eichentisch standen zwei benutzte Teller und die Reste eines üppigen Mahles. Ich sah die Reste eines Truthahns, große Schüsseln voll Gemüse, Kartoffeln und verschiedene Sorten Brot, einen Teller mit Käse und eine Schale voller Trauben. Angesichts dieses Überflusses brannte heiße Wut in mir auf, denn mein Volk zwang man, mit wurmverseuchtem Mehl und ungenießbarem Fleisch vorliebzunehmen. Viele Kinder waren bereits verhungert, und das, obwohl der Winter noch fern war. Was in den kalten Monaten geschehen würde, war mir schon nach kurzer Zeit klar geworden. Nur die wenigsten würden einen neuen Frühling erleben. Aber dieses Schicksal unterschied sich kaum von dem, das uns in Freiheit vorbestimmt gewesen wäre. Die Büffelherden warenverschwunden, die Hirsche und Gabelböcke standen am Rand der Ausrottung. Unsere Heimat war zu einer toten Welt geworden, die uns nicht mehr ernähren konnte.
Ich dachte an all das und legte dem General das Messer an die Kehle. Danach gierend, ihn zu töten. Ich wolle ihm seinen Skalp Stück für Stück abziehen und sein zuckendes Herz zerschneiden, in jenen kurzen Momenten, da ein so Verwundeter noch wahrnahm, was geschah.
‚Wenn du es gewusst hast‘, sagte ich zu ihm, ‚warum hast du dein Haus dann nicht besser bewachen lassen? Warum hast du es mir so leicht gemacht? Ist das eine Falle? Oder willst du sterben?‘
‚Vielleicht.‘
Der Körper des Generals regte sich nicht, er zitterte nicht einmal. Meine Sinne, plötzlich mit einer schmerzhaften Schärfe geschlagen, witterten nicht einmal den Hauch von Angst. Was ich stattdessen wahrnahm, war das Aroma lebensmüder Hingabe. Vielleicht war es dieser Hauch von Vertrautheit, der meine Hand ruhig hielt. Selbst dann noch, als der General sich umwandte. Plötzlich waren wir uns so nah wie nie zuvor. Wir blickten einander in die Augen, lange und intensiv. Wir studierten einander, blickten in unsere Seelen, lasen in unseren Gedanken.
‚George Jeremiah Sheridan.‘ Ich flüsterte seinen Namen und drückte die Klinge gerade so fest in seine Haut, dass sie eine flache Wunde hineinschnitt.
‚Tawitko‘, entgegnete er, aber ich sagte ihm, dass das nicht mehr mein Name sei.
‚Was ist geschehen, dass du ihn aufgegeben hast?‘ Der General neigte den Kopf in einer Geste der Darbietung. Ich erinnere mich, dass das Ticken der Standuhr mir unerträglich laut erschien. ‚Der Krieger, den ich kenne, hätte niemals aufgegeben. Er wäre gestorben für seine Freiheit.‘
‚Die Freiheit nützt mir nichts mehr‘, sagte ich. ‚Sie ist gleichgültig geworden.‘
‚Dann hast du jemanden verloren, ohne dessen Existenz dein Leben sinnlos erscheint.‘ Er lächelte, während sein Blick tiefer glitt. Hin zu den Blutflecken auf meinem Jagdhemd, die noch immer feucht waren. ‚Ich weiß es, weil ich dasselbe erlitten habe. Warum bin ich wohl hier? Warum wurde ich zu dem, was du vor dir siehst? Ich wollte vergessen. Und niemand hat mir je mehr dabei geholfen als du. Ja, vielleicht will ich sterben, weil auch ich jemanden verloren habe, ohne den mein Dasein keinen Sinn macht. Und das zum zweiten Mal.‘
Ich presste bei diesen Worten die Lippen aufeinander, sah bereits das klaffende Fleisch vor mir, die Ströme von Blut und den fahlen Glanz toter Augen – aber meine Hand blieb ruhig.
‚Du
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