Nathaniels Seele
entdeckte sie das Ding, das seitlich in seinem Hals steckte. Etwas, das aussah wie ein …
„Nat!“ Sie streckte die Arme aus, gerade in dem Moment, da seine Augenlider zufielen und er zur Seite kippte. „Nat, bitte nicht!“
Sein Gewicht zog sie zu Boden. Halb auf seinem schlaffen Körper lehnend, packte sie den Betäubungspfeil und zog ihn aus seinem Hals. Schritte erklangen. Dann das Rascheln von trockenen Tannennadeln.
Josephine sah zwei Gestalten aus dem Dunkel des Waldes treten. Der größere Mann war ihr vollkommen fremd, doch der Kleinere daneben …
„Du?“ stieß sie hervor. „Warum? Warum tust du das?“
Sie sah, wie er die Waffe hob. Unmöglich! Wie konnte das passieren? Nach diesen wunderbaren Stunden? Nach all diesem … Frieden? Ein zweites Mal erklang dieses Geräusch. Josephine spürte einen scharfen Stich in ihrem Oberarm, griff nach dem Ding, das sich in ihr Fleisch gebohrt hatte … und spürte, wie sie neben Nathaniel zu Boden sank.
„Tut mir leid“, sagte eine Stimme über ihr. Höhnisch vertraut. „Tut mir echt leid.“
Dann war da nichts mehr. Nur noch tiefe, zähe Schwärze.
Nathaniel erwachte mit höllischen Kopfschmerzen. Obwohl seine Sinne in Watte gehüllt waren, registrierte er sofort, wo er sich befand. In einem Transporter, der schnell fuhr. Sehr schnell. Seine Hand- und Fußgelenke waren gefesselt, und neben ihm lag Josephine.
Regungslos.
„Jo!“ zischte er. „Jo, hörst du mich?“
Nathaniel rollte sich herum, bis ihre Körper sich berührten. Sie schlief. Gefangen in der Tiefe ihrer Betäubung. Sein Verstand weigerte sich, zu begreifen, wie grenzenloses Glück plötzlich in das hier umgeschlagen war – Wut, Verwirrung, Angst. Als er an sich hinabsah, erkannte er, dass man ihm den Gürtel abgenommen hatte. Verdammt! Die Steinklinge darin hätte ihm hier und jetzt gute Dienste geleistet.
Benommen von der Chemie in seinen Adern, gehorchte ihm der Geist nicht in gewöhnter Weise. Nicht einmal, als Nathaniel vor Anstrengung keuchte und alle Konzentration auf die Fesseln an seinen Handgelenken richtete. Es waren Handschellen, jedoch aus einem plastikartigen Material, das schwer zu zerstören war. Er brauchte mehr Zeit. Mehr Klarheit. Josephines Duft inhalierend, wartete er. Wartete auf das Schwinden seiner Betäubung oder darauf, Absás Kraft zu spüren, die ihn durchdringen und zwingen würde, das Nötige zu tun.
Das Nötige tun …
Bedeutete das auch, Josephine zu töten?
Nathaniel wartete schreckensstarr, doch die Schamanin blieb ihm fern. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, gelang es ihm, die Hitze zu entfesseln und zu konzentrieren. Schmerz wischte den letzten Schleier von seinem Bewusstsein, als die Fesseln schmolzen und seine Haut verbrannten. Mit einem Ruck zerriss er den letzten Widerstand, spürte, wie Fleisch sich von seinen Knochen schälte, und lenkte die aufbrechende Qual nach innen, um sich nicht durch einen Schrei zu verraten.
Schnell schloss der Geist seine Wunden. Ließ Fleisch und Haut zusammenwachsen. Nach wie vor raste der Transporter über eine gerade Straße dahin. Vermutlich der Highway. Nathaniel stemmte sich hoch, löste die Fesseln an seinen Fußgelenken, die aus einem gewöhnlichen schwarzen Seil bestanden, und machte sich daran, die Tür des Transporters zu untersuchen. Gepanzertes Material. Unter Einsatz aller Kraft gelang es ihm zwar, das Metall zu verformen, nicht jedoch, ihr Gefängnis zu öffnen. Große Energie hätte vonnöten sein müssen, diese Tür zu zerstören. Zuviel Energie, die er verlieren würde. Also machte er sich zunächst daran, Josephine zu befreien. Nathaniel spürte seine Kraft bereits jetzt schwinden. Würde es reichen? Er konnte es nur hoffen.
„Nat?“ Als er die Fußfesseln entfernt hatte, öffneten sich ihre Augen. Verwirrung trat in ihren Blick, gefolgt von Begreifen und Angst. Josephines Anblick ließ Zorn in ihm auflodern. Zorn gegen jenen, der ihn verraten hatte – und gegen sich selbst, weil er diesen Verrat nicht vorher gesehen hatte.
„Nat, wo sind wir?“
„Sieh mich an“, sagte er leise.
„Was ist passiert?“
„Ich muss die Fesseln auflösen. Sieh mich an, dann wird es nicht wehtun.“
Hilflos lieferte sie sich seinem Blick aus. Er spürte, wie die Hitze auch ihre Haut versengte, doch ihr Gesicht blieb reglos. Kein Ton kam über Josephines Lippen. Die Manipulation ihres Geistes zehrte an seiner geschwächten Energie, und als die Fesseln endlich von ihr abfielen, den
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