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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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es nicht.“
    „Kannst du es nicht herausfinden?“
    „Um Gedanken zu lesen, muss ich demjenigen in die Augen sehen. Ich kann mich nicht in den Kopf der Männer dort vorn hineinversetzen, wenn du das meinst.“
    „Vielleicht hat Jeremy dich an das FBI verkauft.“ Josephine lachte bitter. Ihre Wut stand der seinen in nichts nach, und das berührte ihn zutiefst. „Sie glauben, dass sie dich durch mich in der Hand haben. Nat, du darfst nicht an mich denken, wenn es so weit ist …“
    „Was könnten sie denn tun?“, erwiderte er matt. „Hier und jetzt bin ich sogar noch schwächer als ein gewöhnlicher Mensch. In ein paar Stunden halten sie einen leblosen Zombie gefangen.“
    „Es sei denn, sie wissen, was zu tun ist. Vielleicht kennen sie das Geheimnis der Knochen.“
    Der Wagen verließ den Highway. Nathaniel hörte Menschenstimmen, Großstadtlärm und das Quietschen eines Zuges.
    „Wenn sie dir die Knochen bringen sollten, damit du zu Kräften kommst, dann befreie dich.“ Josephine lehnte ihre Stirn an die seine. Als ihre Finger über seine nackten Arme glitten, stach der Schmerz wie ein Messer in sein Herz. Vor wenigen Stunden noch hatten sie im Wald gesessen, unberührt von allem Schlechten, von nichts weiter erfüllt als Verlangen und Liebe.
    „Denk nicht an mich, Nat. Verschwinde! Versprich mir das.“
    „Du wirst dich befreien“, knurrte er, „hier und jetzt.“
    Der Wagen hielt. Sie hörten das Klappen von Türen und die Schritte dreier Männer.
    „Ich versuche, dir zu helfen“, zischte er ihr zu. „Sobald du frei bist, rennst du einfach los. Du rennst, bis du nicht mehr kannst, am besten irgendwohin, wo viele Menschen sind. Versuche, so schnell wie möglich zurückzukehren, fahre ins Reservat und erzähle Scott Black Fox, was passiert ist.“
    „Nat …“ wisperte Josephine. „Ich will dich nicht verlieren.“
    „Ich schaffe es schon. Vertrau mir. Wenn mir jemand helfen kann, dann der Rat.“
    „Woher weißt du, ob sie dich nicht loswerden wollen? So wie Jeremy?“
    „Weil es Tradition ist, dass sie mir in jeder Ratssitzung ihre Gedanken offen legen. Ich weiß, dass einige nicht mit meiner Meinung konform gehen und dass sie gern Dinge hinter meinem Rücken beschließen. Aber sie würden mich niemals verraten.Niemals. Unser Zusammenhalt ist immer noch stark. Es liegt außerdem im Interesse des Stammes, dass mein Geheimnis gewahrt bleibt.“
    Josephine schüttelte den Kopf. „Dafür dürfte es zu spät sein. Ehe ich den Rat hierherbringen kann, haben sie dich schon sonst wo hingebracht. Wie sollen wir dich finden?“
    Nathaniel kam nicht mehr zum Antworten, denn die Tür wurde aufgerissen. Er war so schnell, dass den Männern keine Zeit zum Reagieren blieb. Mit einem Aufbäumen seiner letzten Kraftreserven trat er dem am nächsten Stehenden vor den Kopf und schleuderte ihn zu Boden. Josephine sprang auf, ließ ihren Fuß in das Gesicht des zweiten Mannes krachen und sprang. Sie war schnell. Vielleicht schnell genug.
    Ehe der Kolben einer Waffe Nathaniel das Bewusstsein nahm, sah er, wie sie eine leere Straße hinunterrannte, verfolgt vom dritten Mann.
    „Lauf“, war sein letzter Gedanke. „Du musst es schaffen. Lauf, Tacincala.“
    Die Stille summte in seinem Kopf, als er erwachte, noch immer gefangen im Transporter. War Josephine entkommen? Er konnte es nur hoffen. Mochten sie mit ihm anstellen, was sie wollten. Er hatte lang genug gelebt und würde Schmerzen ebenso in Kauf nehmen wie Tod. Nie aber hätte er es sich verziehen, wenn Josephine wegen ihm Qualen hätte erleiden müssen. Er begann, zu beten. Flehte die Geister und das Mysterium darum an, dass sie entkommen war.
    Der Lärm des Verkehrs schwoll an. Sie bewegten sich durch eine Innenstadt. Nathaniel wand sich mit letzter Kraft, zerrte an den neu angelegten Fesseln seiner Hände und versuchte, seine Arme durch Auskugeln der Schultergelenke nach vorn zu biegen. Doch es gelang nicht. Er war zu schwach. Viel zu schwach.
    Als der Wagen zum Stehen kam, nach einer Fahrt, deren Dauer er auf eine halbe Stunde schätzte, durchströmte ihn Erleichterung. Alles war besser als Ungewissheit. Doch als sein noch immer betäubtes Gehirn weiterdachte, gefror diese Erleichterung zu kalter Angst. Wer immer hinter seiner Entführung steckte, würde erkennen, dass Nathaniel in diesem Zustand nutzlos war. Wenn er nicht an das Grab zurückkehrte und Absá weiterhin passiv blieb, würde seine Kraft spätestens nach einem Tag so verkümmert sein,

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