Nathaniels Seele
wie Galle, weshalb sie die folgenden Wörter zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorpresste. „Es tut mir leid, dass ich mich nicht bedankt habe. Und es tut mir leid, dass ich dich beschimpft habe. Also danke, okay? Danke, dass du mir geholfen hast.“
„Ich habe dich doch auch beschimpft.“ Er lächelte. Es war ein erschreckend verführerisches Lächeln, das seinen Weg direkt in die primitiven Regionen ihres Gehirns fand und von dort aus eine Salve warmer Impulse durch ihren Körper jagte. Wieder klebte ihr Blick an seinen vollen, sich kräuselnden Lippen fest. Schmeckten sie so, wie sein Atem roch? Wild und zügellos? Warum zum Teufel stellte sie sich vor, wie es wäre …
„Wir haben uns wohl beide nichts genommen“, krächzte Josephine und würgte ihr Kopfkino ab. „Wie ist übrigens der Name deines Hundes?“
„Chinook.“
„Was ist er für eine Rasse?“
„Chinook.“
„Was?“
„Sein Name ist Chinook von der Rasse der Chinooks.“
Nathaniel wandte sich ab, doch nicht schnell genug, als dass Josephine der Augenverdreher entgangen wäre. Postwendend löste sich ihr schlechtes Gewissen in Luft auf und überließ altbekanntem Trotz das Feld. Nur eine Tatsache hielt Josephine ab, ihm etwas Wütendes entgegenzuschleudern: geschätzte zweitausend Dollar, die sie dank ihm sparen würde. Zerknirscht grub sie die Hände in die Taschen ihrer Jeans und ballte sie zu Fäusten.
Nathaniel klaubte zwei Bündel vom Rücksitz seiner Schrottkarre. Als er eines schulterte, klappte Josephine der Kiefer nach unten. Es war ein Futteral. Ein prachtvolles Futteral aus Wolfspelz, verziert mit Silberplättchen und Federn, in dem ein nicht minder prächtiger Bogen steckte. Das zweite Bündel war ein Köcher, in dem sich um die dreißig Pfeile befanden. Auch diese Utensilien waren in ihrer authentischen Schönheit umwerfend.
„Das ist ja fantastisch.“ Josephine konnte nicht an sich halten. Ehrfürchtig streckte sie einen Arm aus und berührte mit den Fingerspitzen das Fell des Futterals. Es war weich und fein. Fäden aus glänzendem Silber durchzogen sein Grau. „Sieht alt aus. Ist das echt?“
Nathaniel schnaufte. Es klang spöttisch, doch da er zugleich ein mildes Lächeln aufsetzte, verschluckte Josephine die böse Floskel, die auf ihrer Zunge lag. „Ja, er ist echt“, antwortete er mit einem guten Schuss Sarkasmus in der Stimme. „Alles andere übrigens auch.“
„Wie alt?“
„Einhundertachtundvierzig Jahre.“
„Das nenne ich gute Pflege.“ Josephine hätte diese Relikte nur zu gern ausführlich in Augenschein genommen, hätte ihre Finger in den Pelz graben und an den Federn schnuppern wollen, doch Nathaniels Miene verriet, dass es nicht sein Wohlgefallen gefunden hätte. „Sammelst du solche Dinge?“
Josephine registrierte, dass sie mit unübersehbarer Nervosität an ihrer Gürtelschnalle spielte. Eine Spur zu hastig ließ sie ihre Hand in der Hosentasche verschwinden. Wieder stand sie auf eine unerklärliche Weise neben sich. Diesmal war es eine andere Art von Unsicherheit, kaum weniger heftig als bei ihrer ersten Begegnung, obwohl Nathaniel einen Großteil seiner Düsternis abgelegt hatte. Vielleicht war es genau das. Denn so, wie er hier vor ihr stand, sah er umwerfend aus. Sie wollte ihn nicht ansehen. Am liebsten wäre ihr gewesen, wenn er augenblicklich dahin verschwunden wäre, woher er gekommen war. Doch das Geld, das sie durch ihn sparen würde, wurde allzu dringend gebraucht. Ebenso wie seine Hilfe.
„Solche Dinge sammeln?“, echote er mit einem Heben seiner Augenbraue. „Nein, ich jage damit.“
„Ach ja?“
„Ich führe diese Waffe demselben Zweck zu, wie es meine Vorfahren getan haben. Das ist eine weitere Bedingung, die ich stelle. Gib mir die Erlaubnis, in deinen Wäldern zu jagen, wann immer ich will. Und erlaube mir, den Hund hierzubehalten. Er wird die Tiere nicht anrühren. Auch die Katze nicht. Du musst allerdings versprechen, dass dieses Ungeheuer ihm nichts tut.“
„In Ordnung.“ Sie folgte Nathaniels Blick, der sich auf Noname geheftet hatte. Mit gesträubtem Fell und angesichts des Hundes kampflustig vor sich hin grollend, hatte er vor dem Stalleingang Stellung bezogen. Josephines Herz hämmerte dumpf gegen sein Gefängnis aus Fleisch und Knochen, als wolle es jeden Augenblick herausspringen. Würde ihr Verstand noch heute Abend zurückkehren? Das war nur zu hoffen. Sie war eine erwachsene Frau, die nichts so leicht aus der Fassung bringen
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