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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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konnte.
    „Wenn ihr mir folgen würdet?“ Sie zog die Hände aus den Taschen ihrer Jeans und bemerkte, dass sie nass geschwitzt waren. „Ich zeige euch die Wohnung, die ihr übernehmen könnt.“
    Die ohnehin winzige Herberge schien noch weiter zu schrumpfen, als der Indianer sie betrat. Seine Präsenz füllte sie ganz und gar aus. Es fühlte sich an, als erwärme sich die Luft, zöge sich zusammen und lege sich wie ein Eisenband um ihren Brustkorb. Josephine hätte Nathaniel gern berührt, um zu sehen, ob seine Haut so warm war, wie es die von seinem Körper ausstrahlende Hitze erwarten ließ. Sein Blick durchmaß das kleine Wohnzimmer, das nichts enthielt als das Allernötigste. Dennoch sah es so aus, als sei er mit dem, was er sah, zufrieden.
    „Es ist nichts Besonderes.“ Josephine registrierte, dass der Schrank, das bunte Plaid auf dem Sofa und der wurmstichige Tisch bedeckt waren von einer Schicht Staub. Die cremefarbenen Vorhänge müffelten, das Landschaftsbild an der Wand war unterdem grauen Schleier kaum mehr zu erkennen. „Ich muss noch saubermachen. Wenn ich geahnt hätte, dass du kommst …“
    „Schon gut.“ Nathaniel machte eine beschwichtigende Geste. Er legte das Futteral und den Köcher behutsam auf dem Sideboard ab, das schon alt gewesen war, als Jacob es als Geschenk zur Hochzeit erhalten hatte. „Mir gefällt es. Es ist endlich mal so was wie ein Tapetenwechsel. Ich mache es mir schon wohnlich.“
    Ein Bild huschte durch Josephines Kopf. Nathaniel, wie er enthusiastisch den Staubwedel schwang. „Es hat schon ewig keiner mehr hier gewohnt. Aber wenn es dir gefällt … umso besser.“
    „Es gefällt mir. Jede Abwechslung ist mir willkommen.“
    „Ich dachte, du kommst viel herum. Du erwähntest spontane Reisen.“
    War das hier etwa der Anfang eines völlig gewöhnlichen Gespräches? Keine Vorwürfe? Kein Streit?
    „Das ist mehr Stress als alles andere“, gab Nathaniel zurück. „Ich darf nur so lange bleiben, wie ich für meine Aufgabe brauche. Keinen Tag länger. Oder eher keine Stunde länger. Jede Minute, die ich dem Reservat fernbleibe, ist ihnen eine Minute zu viel.“
    „Deine Position muss sehr wichtig sein.“ Josephine spürte, wie ihre Aversion gegen diesen Mann schmolz wie Schnee in der Sonne. Es war erstaunlich, was ein Hauch von Schwäche in dieser Hinsicht ausrichten konnte. Sie spürte seine Sehnsucht. Sein Hadern mit dem Schicksal. Beides waren Dinge, die sie mit ihm verband, auch wenn das Leichentuch ihrer Trauer inzwischen gewichen war.
    „Zu wichtig für meinen Geschmack“, murmelte er und nahm den kleinen Traumfänger in Augenschein, der über dem Sofa an der Wand hing. Als er sich wieder zu ihr umwandte und in einer beiläufigen Geste zwei Haarsträhnen nach hinten strich, breitete sich genüssliches Prickeln in Josephines Eingeweiden aus. Wie schaffte es dieser Kerl, sie mit solch kleinen, unterschwellig herausfordernden Gesten derart zu verstören? Spielte er in voller Absicht mit ihr oder war er sich seiner Wirkung gar nicht bewusst?
    „Ich war es immer gewöhnt, auf Reisen zu sein“, fuhr Nathaniel fort und ließ offen, ob er ihren Anfall von Schwäche wahrgenommen hatte. „Jeden Frühling und jeden Herbst zogen wir in eine andere Gegend. Tagelang waren wir unterwegs, bis wir einen Ort fanden, der uns gefiel. Das ist Freiheit für mich. Leider war mir das nicht lange vergönnt. Jetzt muss ich mich damit arrangieren, dass ich jedes Jahr, wenn der Frühling oder der Herbst kommt, vor Unruhe die Wände hochgehe. Die Natur des Nomaden ist immer noch in meinem Blut. Eigentlich bin ich unfähig, allzu lange an einem Ort zu bleiben. Aber ich muss es, wohl oder übel.“
    „Dann hau doch einfach ab. Was spricht dagegen? Irgendwo wird sich jemandem wie dir schon ein neues Leben eröffnen.“
    „Jemandem wie mir?“ Er neigte den Kopf. „Was meinst du damit?“
    Josephine blickte beiseite. Sie suchte nach einer unverfänglichen Antwort, doch ehe sie eine solche gefunden hatte, brach er das Schweigen.
    „Was dagegen spricht? Nun, mein Stamm. Meine Pflichten, meine Fesseln. Ich kann es nicht so erklären, dass du es verstehen würdest. Wenn ich könnte, wäre ich längst auf und davon. Aber es geht nicht.“
    „Wirklich nicht?“
    „Nein.“
    Nathaniel hob seinen Mund zu einem aufrichtigen Lächeln, das ihr Herz zwang, mehrere Takte zu beschleunigen. Sie musste hier verschwinden. Die Luft in dieser Wohnung wurde immer drückender. Immer heißer. Abgesehen

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