Nathaniels Seele
nicht mehr akzeptieren werde.“
„Nachdem dein erster Ausritt so vielversprechend endete?“
„Ja und?“, gab Josephine trotzig zurück. „Gib mir noch zwei oder drei Tage, dann knöpfe ich mir die ersten Halbstarken vor.“
„Bist du dir sicher? Ganz sicher?“
„Aber so was von.“ Sie trank den Kaffee aus und knallte die Tasse auf den Tisch. „Jetzt werde ich erst mal für ein bisschen mehr Ordnung sorgen.“
„Was hast du vor? Dir scheint ja der Leibhaftige im Nacken zu sitzen.“
„Der Leibhaftige verabschiedete sich gestern ohne weitere Erklärungen. Aber wenn du es wissen willst: Ich muss die Fenster im Pferdestall putzen. Den gesamten Stall. Ausmisten, füttern, die Tröge schrubben, den Zaun der Südweide reparieren. Unter anderem.“
„Dann ist dir wohl in den Sinn gekommen, dass dein mysteriöser Mistkerl recht hatte?“
Jacob bewies brillante Treffsicherheit. Josephine hätte ihn würgen können. Durchbohrt vom Blick zweier verschmitzt funkelnder, grauer Augen öffnete sie die Tür, sog die Morgenluft in ihre Lungen und schickte sich an, das Nötige zu tun.
„Vielleicht“, warf sie Jacob noch über die Schulter zu. „Aber auch nur vielleicht.“
Die nächsten Stunden verbrachte Josephine mit den üblichen Dingen. Sie versorgte die Pferde, führte sie auf die Weide, füllte Tröge mit Wasser und Raufen mit Heu auf, befreite mit zwei Hilfsarbeitern eine jämmerlich wehklagende Färse, die es weiß Gott wie geschafft hatte, sich mit ihren Hörnern in einem Busch zu verfangen, besserte zerstörte Zaunpfosten auf den Südweiden aus und reparierte unter Jacobs Anleitung einen Traktor.
Als schließlich der Nachmittag kam, machte Josephine sich daran, den Wahrheitsgehalt der ihr entgegengebrachten Kritik zu überprüfen. Leider entpuppte sich derselbe als existent. Mit verbissener Entschlossenheit, von nun an alles besser zu machen, putzte sie die verdreckten Fenster, entfernte sämtliche Spinnweben, mistete die Ställe aus und häufte eine extra dicke SchichtStroh auf. Sie wienerte die Tröge und Gitterstangen, kehrte aus, fettete das Sattelzeug ein und erledigte nebenbei all die Kleinigkeiten, die sie sonst ignoriert hatte. Das schloss sogar das seit Jahren gehegte und gepflegte Chaos in der Gerätekammer ein. Noname währenddessen, der wahlweise vor dem Stalleingang in der Sonne lag oder schnurrend zwischen ihren Beinen herumschlich, verfolgte Josephines Anstrengungen mit großem Interesse.
Als alles auf ihrer imaginären Liste erledigt war, dämmerte bereits der Abend herauf. Sie war zu Tode erschöpft, doch es war eine erfüllende Müdigkeit. Während Noname der professionellen Mäusejagd frönte, ging Josephine zum Zaun der Pferdeweide, setzte sich darauf und genoss ein paar Momente des Innehaltens. Sie bewunderte das im letzten, rotgoldenen Sonnenlicht schimmernde Farmhaus und fühlte sich glücklich. Zwar nicht so rein und himmelhoch jauchzend wie damals, als Daniel noch an ihrer Seite war, aber nichtsdestotrotz durchströmte sie Lebensfreude. Genuss am Hier und Jetzt, dem genau jener Frieden anhaftete, für den sie das Farmleben liebte.
Pfeifend brachte Jacob die Pferde in den Stall. Josephine winkte ihm zu, legte den Kopf in den Nacken und sah den Farben des Himmels zu, die sich mit fortschreitendem Abend veränderten und intensiver wurden. Im Westen glühte der Abendstern über Streifen aus Orange, Grün und Gelb. Ein über den Tannen aufgehender, eierförmiger Mond lockte Fledermäuse hervor, die über die Weiden huschten und hauchfeine Pfeiftöne ausstießen.
Josephine empfand Dankbarkeit. Für all die Schönheit, die sie umgab. Für den Himmel, für die Erde und für die Tatsache, dass das Leben sie hierhergeführt hatte. Ihr seliges Glück hielt an, bis das Dröhnen eines Motors erklang.
Ein Jeep rauschte über die gewundene Zufahrtsstraße. Sofort packte die vertraute, eiskalte Hand Josephines Nacken, denn der Wagen wirkte auf den ersten Blick schwarz. Ein schwarzer Jeep bedeutete Ärger. Erst nach einer genaueren Inspektion erkannte sie, dass es sich bei dem Besuch nicht um den meistgehassten Menschen ihres Lebens handelte. Der Wagen war nicht schwarz, sondern waldgrün, zumindest dort, wo er nicht von Dreckkrusten bedeckt war. Und er war alt. Scheppernd hielt er vor dem Stallgebäude, woraufhin Josephine mutmaßte, dass dieses schrottreife Vehikel nur noch aus reinem Trotz funktionierte.
Ein Hund saß auf der Rückbank. Ihre Verwirrung wuchs. Als der Fahrer
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