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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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herrschte zwar ebenfalls eine spartanische Ausstattung, doch gab es dort immerhin Relikte aus seiner Vergangenheit, die den Räumen Gemütlichkeit und Erinnerungen einhauchten. Hier aber wirkte selbst der Kleiderschrank mürrisch. Ganz zu schweigen von den fürchterlichen Vorhängen und dem muffig riechenden Bettzeug. Zu guter Letzt hing an der Wand ein surrealistisches Bild, dessen Farben an Eulengewölle erinnerten und irgendetwas Unidentifizierbares darstellten. Nathaniel hatte bereits eine Blumenvase, eine Gottesanbeterin und einen Hirsch erkannt, doch vermutlich ging die Lösung in eine ganz andere Richtung.
    Immerhin hatte Chinook seine innere Mitte gefunden. Schnarchend lag der Hund am Fußende des Bettes, als hätte er niemals woanders geschlafen.
    Ohne seine besondere Gabe wäre es Nathaniel mit Sicherheit nicht gelungen, die Frau in dem Glauben zu lassen, es gefiele ihm hier. Andererseits stellte es tatsächlich eine Abwechslung dar. Vielleicht, wenn er sich darauf einließ und die Muffigkeit samt der leblosen Ausstattung ignorierte, konnte er diesem höhlenartigen Loch früher oder später etwas abgewinnen. Vermutlich eher später. Wenigstens etwas Positives musste man dieser Herberge abgewinnen – hinter dem Moder roch sie gut. Nach Pferd, Leder und Rauch, so ähnlich, wie es damals gerochen hatte, als sie noch in Zelten gelebt hatten.
    Sich sehnend nach Schlaf, versuchte Nathaniel, denselben mithilfe von Meditation herbeizuführen. Vielleicht hätte es funktioniert, doch Chinooks unregelmäßiges Schnarchen machte jede Konzentration zunichte. Nein, korrigierte sich Nathaniel, es lag nicht an dem Hund. Er konnte seinen Geist in weitaus unruhigeren Situationen auf Reisen schicken. Es lag an der Nähe der Frau. Schloss er die Augen, sah er ihr Gesicht, ihr Haar, ihre Bewegungen. Er sah das weite, graue Männerhemd, das ihre sanften Kurven zwar kaschierte, seine Fantasie jedoch umso wirkungsvoller stimulierte. Er roch ihren Duft und spürte die zarte Haut ihres Halses unter seinen Fingern.
    Dieses Trauerspiel hier machte keinen Sinn. Leise, um den schlafenden Hund nicht zu wecken, schlüpfte er in eine Unterhose, schnappte sich die Decke vom Sofa und ging in den Pferdestall hinunter. Dort, auf zwei zusammengeschobenen Strohballen, lag es sich schon weitaus bequemer. Das Plaid war dick genug, um die stacheligen Halme nicht durchdringen zu lassen, und die Luft so warm, dass es unnötig war, sich zuzudecken. Halbwegs zufrieden mit den Umständen, verschränkte Nathaniel die Arme unter dem Kopf und blinzelte in das düstere Gebälk hinauf. Josephine hatte ganze Arbeit geleistet. Nur noch oben auf dem Heuboden bewegten sich Spinnweben im Windzug. Die Fenster waren geputzt und die gammeligen Boxen gesäubert. Möglicherweise hatte er sich bei seinem vorschnellen Urteil über die Frau geirrt. Er hoffte es. Denn als er die Augen schloss, erschien ihr ovales, tropfnasses Gesicht erneut in seinem Geist. Ihr Anblick berührte neben schlichtem männlichem Begehren noch etwas anderes in ihm. Etwas Tieferes, Reineres. Aber warum? Sie sah seiner Frau nicht im Entferntesten ähnlich, daran konnte es nicht liegen. Vielleicht fand er seinen eigenen Verlust in dem ihren wieder. Vielleicht war es ihre Verletzlichkeit, die an seinen Mauern riss und drohte, diese einzureißen. Was auch immer es war, als sie da im strömenden Regen neben ihm gestanden hatte, hätte er sie am liebsten gepackt und in den Stall geschoben. Hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, sie tröstend zu umarmen und einem weitaus animalischeren Drang. Letzteres, so vermutete Nathaniel, wäre fatal. Für den Rest seines vorhandenen Seelenfriedens und vor allem für Josephine.
    Er musste schlafen. Wenigstens zwei oder drei Stunden. Das Schnauben und Scharren der Pferde beruhigte ihn, ließ ihn sanft in die Schwärze hineingleiten. Erholsames Nichts umgarnte ihn. Eine Auszeit vom Fühlen und Existieren, die er dringend gebraucht hätte.
    Doch seine alte Feindin nutzte die Gelegenheit für eine weitere Heimsuchung. Nathaniel spürte, gefangen in einem Zustand zwischen Traum und Realität, wie ihr Atem über seine Kehle hechelte. Dürre Mumienfinger fuhren über den Bogen seiner Rippen, über seinen Bauch und hinauf zur Brust. Wie immer konnte er sich nicht bewegen. Eine unsichtbare Last drückte ihn ins Stroh, lähmte seine Glieder und seinen Willen.
    „Verschwinde, alte Pestbeule“, knurrte er sie an. „Lass mich schlafen.“
    Sie ignorierte seinen

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