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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Ich spüre, was die Tiere wollen. Und sie spüren, was ich will. Wir brauchen keine Worte, um uns zu verstehen. Klischee, Klischee. Aber was soll ich machen? Es ist eben so.“
    „Kann man das lernen?“
    „Nein. Meine Gabe ist etwas Höchstpersönliches. Deine liegt woanders.“
    „Und was ist meine Gabe?“
    „Wie alt bist du?“
    „Einunddreißig.“
    Nathaniel bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. „Dann ist es traurig, dass du bis heute nicht weißt, wo deine Gabe liegt.“
    „Ach ja?“
    „Ihr habt so viel verlernt, und jetzt seid ihr dumm wie Tannenhühner.“
    „Netter Vergleich.“ Sie schnaubte empört.
    „Diese Vögel sind so dumm, dass du sie mit der Hand fangen kannst. Sie wissen erst, dass etwas nicht stimmt, wenn sie schon von Verdauungssäften umgeben sind.“
    Josephine stieß ein Lachen aus, in dem unterdrückte Wut mitklang. „Warum stehe ich dann hier und rede mit dir? Es dürfte unter deiner Würde sein, mit einem Tannenhuhn zu reden.“
    „Bist du nie auf die Suche gegangen?“
    „Wonach?“
    „Nach dir selbst. Nach deinen Visionen und Wurzeln.“
    „Ich verstehe.“ Josephine nickte zerknirscht. „Das ist eine dieser wir-schlagen-die-Trommeln-und-tanzen-nackt-um-das-Feuer-Nummern.“
    „Was?“
    „Macht ihr so was nicht?“
    „Mit Sicherheit sehen unsere Rituale nicht aus wie in deinem Kopf. Obwohl ich nichts dagegen hätte, nackt ums Feuer zu tanzen. Ich habe es schon ein paar Mal getan. Allein. Ohne neugierige Augen.“
    Sein Grinsen war verschlagen – und absolut verrucht. Wütend über ihre verrücktspielenden Hormone bohrte Josephine die Zehen in den Matsch und zeichnete Kreise hinein. Ihr Kopfkino arbeitete fieberhaft. Insgeheim dankte sie dem Schicksal, dass ihr Gespräch nachts stattfand, denn anderenfalls hätte die Verfärbung ihres Gesichts vermutlich Bände gesprochen. Nackte Haut und Feuerschein. Nathaniels entblößter Körper. Herrgott, unter welchen Teppich hatte sie ihre Beherrschung gekehrt?
    „Was meintest du dann?“, presste sie hervor.
    „Vielleicht zeige ich es dir irgendwann. Sofern du bereit bist, vier Tage weder zu essen noch zu trinken.“
    „Unmöglich.“
    „Nichts ist unmöglich.“
    „Nach drei Tagen ohne Wasser kapituliert der menschliche Körper.“
    „Sagt wer?“
    „Die Wissenschaft.“ Josephine trotzte ihm, ohne zu wissen, warum. Natürlich waren ihr die meditativen Fähigkeiten von manchen Indianern bekannt. Etwas reizte sie dennoch, ihm zu widersprechen.
    „Darauf gebe ich nichts.“ Er vollführte eine abfällige Handbewegung. „Ich habe schon so manches getan, was der wissenschaftlichen Meinung nach unmöglich ist. Und jetzt wird es Zeit, wenigstens noch ein Fragment an Schlaf abzubekommen.“
    Er schnalzte leise mit der Zunge. Selbst für Josephines Ohren wurde dieses Geräusch vom strömenden Regen nahezu verschluckt,und doch trabte der Hengst gehorsam auf ihn zu. Hingebungsvoll rieb er sein Maul an Nathaniels ausgestreckter Hand, ließ sich willig von der Koppel führen und folgte seinem Wohltäter so selbstverständlich, wie es Max getan hatte.
    „Heißt das, mir sind fortan alle Fragen untersagt?“ Josephine widersetzte sich dem Bedürfnis, ihm zu folgen. Stattdessen blieb sie am Zaun der Koppel zurück.
    „Nein“, gab Nathaniel zurück, ohne sich umzusehen. „Fragen sind erlaubt, aber ich muss sie nicht beantworten.“
    „Ich hasse Männer, die mysteriös tun.“
    „Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du mich eingestellt hast. Ich bin von Natur aus mysteriös.“
    Damit verschwand er samt Pferd im Stall. Als das Tor zuglitt, erlosch der Lichtkegel. Das Gewitter zog langsam über die östlichen Berge ab und hinterließ ein Wetterleuchten, das die Wolken über dem Wald flackernd erhellte. Josephine war wütend. Nein, verwirrt. Ratlos. Nervös. Vollkommen durcheinander. Sie wusste es nicht. Ihre Gefühle entschieden sich, einem heillosen Chaos zu frönen. Morgen im Sonnenschein würde die Welt wieder anders aussehen. Realer und fassbarer. Der Gedanke war tröstend, doch zugleich wünschte sie, dieser Tag würde niemals heranbrechen.

     
    Das Bett war unerträglich. Er versuchte zunächst, sich daran zu gewöhnen, doch nach einer ruhelosen Stunde, in der er sich schimpfend und knurrend herumgewälzt hatte, gab Nathaniel auf. In einem solch weichen Lager würde er niemals Schlaf finden. Ganz zu schweigen davon, dass dieses Zimmer ohne Leben war und jede positive Stimmung im Keim erstickte. In seinem Haus

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