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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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wurde, wenn Männer grundlos zu singen anfingen. Erst recht, wenn es sich um Indianergesang handelte. Die Menschen reagierten ablehnend, gar aggressiv darauf. Eine merkwürdige Zeit. In vielerlei Hinsicht.
    „Guten Morgen“, sagte jemand hinter ihm, als er darüber nachdachte, in welche Richtung er gehen sollte.
    Nathaniel fuhr herum. Einen Augenblick verwunderte es ihn, weshalb er den Mann nicht bemerkt hatte, doch schnell erhielt er die Antwort. Er musste schon eine ganze Weile dort gestanden haben, gelehnt an einen Stapel aus aufgeschichteten Holzscheiten. Rauchkringel stiegen aus seiner gebogenen Pfeife auf. Nathaniel blickte in die Augen des Mannes und erkannte die Art von Freundlichkeit darin, die man heute nur selten antraf.
    „Guten Morgen“, antwortete er mit einem Lächeln, obwohl das Brennen der Male auf seiner Haut heftiger wurde und Schmerzimpulse durch seinen Körper jagte. „Ich bin Nathaniel.“
    „Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Der Alte paffte eine blaue Wolke aus, lüpfte seinen Schlapphut und trat auf ihn zu. Kräftig war der Druck seiner von harter Arbeit gezeichneten Hand. „Mein Name ist Jacob. Der Onkel des ehemaligen Besitzers und engster Vertrauter der jetzigen Besitzerin. Willkommen auf unserer bescheidenen Farm. Willst du jagen gehen? Mit diesem Bogen?“ Jacob bedachte die Waffe mit unverhohlener Bewunderung. Seine von Alter verwässerten Augen leuchteten.
    „Ja. Mit Erlaubnis der Eigentümerin dieses Landes.“ Nathaniel konnte die gewisse Schärfe in seiner Stimme nicht unterdrücken. Nach wie vor gab es einige Dinge, die sich seinem Verständnis entzogen.
    „Und das dort?“ Jacob berührte ehrfürchtig die Wildledertasche. Sie war ein Kunstwerk Petalas, traditionell verziert mit Fransen, Röhrenknochen und gefärbten Stachelschweinborsten. „Da drin ist Kleidung, die zu dem da passt, nicht wahr?“ Er deutete auf den Bogen.
    „Menschen sind selten aufmerksam“, murmelte Nathaniel. „Aber du bist es zweifellos.“
    „Du siehst eben aus wie jemand, der noch viel auf die alten Traditionen gibt. Der Dinge entweder in Perfektion angeht oder gar nicht.“
    Jetzt musste er lachen. „Da hast du recht. In der Tasche ist meine alte Jagdkleidung. Aber ich muss jetzt los. In den nächsten Tagen werden wir uns wohl besser kennenlernen.“
    „Das hoffe ich.“ Jacob zog an seiner Pfeife und sandte eine weitere Wolke in den Himmel. Sein Blick sprühte vor Interesse. „Und bitte, nimm Josephine ihre kleinen Ausbrüche nicht übel. Seit Daniels Tod ist sie manchmal … nun, sie hat es nie verwunden. Auch wenn sie hin und wieder beißt, ist sie doch eine gute Seele. Sie wird mir zwar den Hals umdrehen, weil ich dir das verrate, aber wegen ihrer Undankbarkeit letztens ist sie schier im Boden versunken. Den ganzen Tag konnte sie kaum geradeaus laufen vor schlechtem Gewissen.“
    „Ich weiß.“ Nathaniel rieb über die Stelle auf seiner Brust, die wie Feuer brannte. Die Schamanin hätte ihm diesen Schmerz leicht ersparen können, doch für sie war er eine Brandmarkung. Etwas, das ihm ihre Macht über seinen Körper und Geist demonstrierte. „Glücklicherweise habe ich die Gabe, hinter Masken schauen zu können.“
    „Dann hast du ihr verziehen?“
    „Ja, das habe ich.“
    „Und du wirst die Pferde zureiten?“
    „Ich tue mein Bestes.“
    „Hast du Erfahrung darin?“
    „Eine Menge sogar. Mein erstes Pferd ritt ich mit elf zu.“ Nathaniels Blick heftete sich auf den düster aufragenden Waldrand. Ein vertrautes Gefühl kroch durch seinen Geist. Etwas im Gefüge der Dinge stimmte nicht. Eindringlinge waren dort draußen, Menschen, die nicht hierhergehörten. Er spürte ihre ruhelosen, vergifteten Seelen, die den Frieden des anbrechenden Morgens zerstörten und fieberhaft nach etwas suchten. Waren es Wilderer? Nathaniel lauschte in sich hinein und sog jede noch so winzigeBotschaft auf, die ihm entgegenwehte. Nein, wer immer dort draußen war, suchte nicht nach Wild.
    „Ich muss gehen.“ Er packte seinen Bogen so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Jacob blieb diese verräterische Kleinigkeit nicht verborgen.
    „Gute Jagd“, murmelte der alte Mann. „Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Josephine braucht Hilfe. Sehr dringend sogar. Nimm’s ihr nicht übel, wenn sie so schlagfertig daherkommt wie Chuck Norris. Dahinter verkümmert sie vor Einsamkeit, auch wenn sie es nie zugeben würde.“
    Nathaniel nahm die Eindeutigkeit der Worte kaum wahr. Seine Instinkte waren

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