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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Brustmuskeln. Stammten sie etwa vom Sonnentanz? Jenem blutigen, grausamen Ritual, das früher unter den Prärieindianern verbreitet gewesen war?
    Sie wusste, dass manche Stämme diesen Tanz immer noch zelebrierten, jedoch hatte man die Pflöcke, die durch die Brustmuskeln getrieben wurden, längst durch harmlose Alternativen wie Geschirre ersetzt.
    Josephine geriet ins Träumen. Reiter und Pferd malten ein Bild, in dem unendliche Ruhe lag. Das Fleisch begann anzubrennen, doch sie ignorierte es. Der sich ihr bietende Anblick faszinierte und fesselte sie. Hinter der Ruhe des Indianers glaubte sie, etwas Ungezügeltes zu erkennen. Etwas Ursprüngliches, das weder von Moral noch von modernen Zwängen tangiert wurde. Dieser Mensch war frei. In einem Maße, wie man es heutzutage nur sein konnte.
    Josephine hungerte danach, an Nathaniels Freiheit teilzuhaben. Sie beobachtete das Spiel seiner Muskeln, als er vom Rücken des Tieres glitt, den Sattel vom Zaunbalken hievte und ihn dem Tier auflegte. Der Cremello rührte sich nicht, selbst dann nicht, als der Indianer den Fremdkörper an ihm fest schnürte.
    Josephine fuhr herum. Penetrant stieg ihr der Geruch nach verbranntem Fleisch in die Nase. Sie eilte zum Herd und rührte das Gulasch um, während ihr Herz bis zum Hals klopfte. Hitze jagte durch jede Körperzelle. Pulsierend, lebendig, erregend. Auch wenn der Gedanke, Nathaniels Treiben weiter zu beobachten, überaus verlockend war, widerstand sie diesem Drang. Wenigstens eine Viertelstunde lang. Als sie erneut aus dem Fenster sah, war er bereits dabei, den inzwischen wieder ungesattelten Cremello in Galopp übergehen zu lassen.
    „Wie zum Teufel machst du das?“ Sie schüttelte den Kopf und rechnete damit, jeden Augenblick Zeugin eines Unglücks zu werden. Nach einer Weile zügelte Nathaniel das Tier, sah sich um, und schien zu prüfen, ob irgendwo neugierige Augen zu entdecken waren. Er beobachtete seine Umgebung eine Zeit lang, um das Pferd nach Beendigung seiner Analyse erneut in Galopp übergehen zu lassen. Josephine war versucht, die Augen zuzukneifen, denn er trieb dieses nicht zugerittene Tier furchtlos an, ließ es schneller und schneller laufen, bis sie überzeugt war, ihn jeden Augenblick stürzen zu sehen. Das Trommeln der Hufe erfüllte die hitzeflirrende Stille und plötzlich glitt Nathaniel im gestreckten Galopp vom Rücken des Tieres. Er stieß sich vom Boden ab, flankte auf die andere Seite des Pferdes und wiederholte das Kunststück. Ehe der Cremello die zweite Runde vollendet hatte, saß Nathaniel wieder auf seinem Rücken, mit entspannt hängenden Armen und zurückgebeugtem Oberkörper.
    Josephine hielt nichts mehr im Haus. Sie rannte zum Korral, stellte sich an das Gatter und wartete, bis Nathaniel auf ihrer Höhe war.
    „Was war das gerade?“, rief sie ihm zu.
    „Was?“ Er zügelte das Pferd und blickte unschuldig auf sie herab.
    Josephine schnaubte und wedelte mit der Hand. „Na, das da. Was du gerade gemacht hast. Diese kleine Akrobatikeinlage.“
    „Eben das war es.“ Nathaniel zuckte mit den Schultern. Der Anblick seines nackten, verschwitzten Oberkörpers, über den sich Schlieren aus Staub zogen, verstörte Josephine über alle Maßen. Ihre Kehle wurde trocken. Sie schien regelrecht auszudörren.
    „Ich wollte wissen, ob ich es noch kann“, setzte er hinzu. „Habe es ewig nicht mehr gemacht.“
    „Mach es noch mal.“
    „Oha.“ Nathaniel legte den Kopf schief. Ein diebisches Funkeln huschte durch das Dunkel seiner Augen, als er sich die vom Wind zerzausten Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. „Da war es wieder.“
    „Es?“
    „Das bissige, garstige Hörnchen.“
    „Was fällt dir ein? Nur damit das klar ist, hier auf dieser Farm bin ich deine Chefin. Und du mein Angestellter.“
    Nathaniel hob eine Augenbraue. „Ist das so? Haben wir irgendeinen Vertrag geschlossen? Also, zweiter Versuch. Dieselbe Frage, nur diesmal etwas höflicher.“
    Josephine knirschte mit den Zähnen. „Zeig es mir. Ich will es noch mal sehen. Aus der Nähe. Bitte.“
    Nathaniel neigte gönnerhaft den Kopf. Er schnalzte mit der Zunge, ließ den Cremello zunächst in einen lockeren Trab, dann in Galopp fallen und wiederholte sein Spiel. Josephines Wut überließ blankem Staunen das Feld. Dieser Mann begann vor ihren Augen, die Gesetze der Schwerkraft auszuschalten. Als sei es ein kinderleichtes Spiel, wirbelte er von einer Seite des Pferdes auf die andere, glitt nach drei Galoppsprüngen erneut

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