Nathaniels Seele
herunter und hing wie festgewachsen an der Seite des Tieres. Sein einziger Halt war ein Mähnenstrang, den er sich um die Hand gewickelt hatte, seine Ferse, die sich an der Kruppe abstützte und die Anspannung des eigenen Körpers. Nach einer Runde zog er sich wieder hoch, doch nur, um das Pferd erneut anzutreiben.
„Hör auf damit!“ Josephine schrie gegen das Stakkato der Hufe an, doch Nathaniel reagierte nicht. Noch einmal glitt er vom Rücken des Tieres, so tief, dass Josephine eine Hand vor die Augen schlug, und fischte in vollem Galopp etwas aus dem Staub. Lachend warf er es ihr zu. Sie fing es auf, öffnete die Hand und sah einen Stein, kaum größer als eine Walnuss.
„Hattest du etwa Angst um mich?“ Geschmeidig zog er sich hoch, stellte sich auf den Rücken des Tieres und streckte die Arme aus. Für einige Galoppsprünge verharrte Nathaniel in dieser Position. Als er auf Josephines Höhe ankam, stieß er sich ab und landete neben ihr. Gelassen klopfte er sich den Staub von seiner Jeans, strich über seinen halb aufgelösten Zopf und grinste.
„Und?“, fragte er mit dem Blick eines Jungen, der einen Streich mit Charme auszubügeln gedachte. „Wie war ich?“
Josephine biss sich auf die Unterlippe. Der Geruch seiner schweißfeuchten Haut stieg ihr in die Nase. Er war warm. Herb und männlich und auf eine Weise berauschend, die ihr vom Verstand abgekoppelter, ursprünglicher Teil genüsslich in sich aufsog und in tiefere Regionen weiterleitete. Sie starrte auf die nackte Haut, die er so gleichmütig präsentierte, und suchte verzweifelt nach Worten.
„Du musst nichts sagen“, kam er ihr zuvor. „Ich höre es an deinem Herzschlag. Ich rieche es in deinem Atem. Du bist beeindruckt. Und du hattest Angst um mich.“
Josephine wich zwei Schritte zurück. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten zusammen. „Was soll das?“
„Mein Versuch, dich zu beeindrucken? Ich bin ein Mann. Balzen liegt in meiner Natur.“ Er atmete tief ein und legte den Kopf schief. „Außerdem wolltest du es.“
„Aha.“ Josephine erwiderte seinen Blick kampflustig. Begann dieses Spiel, ihr Freude zu bereiten? Spürte sie da nicht das Kitzeln der Herausforderung in ihren Eingeweiden, verbunden mit der Lust, ihm zu zeigen, wer auf dieser Farm das Sagen hatte? „Okay, zugegeben, das war verdammt beeindruckend.“
„Ein bei uns lebender Comanche brachte es mir bei, als ich ein Junge war. Die Comanchen galten als die besten Reiter. Sie krochen in vollem Galopp unter dem Bauch des ungesattelten Pferdes hindurch und sprachen mit ihren Tieren, als wären sie Menschen.“
„So wie du?“
Nathaniel setzte eine bescheidene Miene auf.
„Es war mehr als gefährlich“, bemerkte Josephine. „Dieses Tier ist noch nicht mal zugeritten.“
„Für eure Verhältnisse nicht“, erwiderte er. „Für meine schon.“
„Wie du meinst. Um ein Uhr essen wir zu Mittag. Du kannst gern mit uns zusammen …“
„Nein“, unterbrach er sie. „Ich bin nicht gesellschaftsfähig.“
„Von mir aus. Dann komm eben in einer halben Stunde vorbei und hol dir deine Portion.“
Nathaniel hielt ihr seine nackten Unterarme entgegen. „Keine Uhr.“
„Dann eben eine grob geschätzte halbe Stunde.“ Josephine machte auf dem Absatz kehrt und spürte, während sie eine Spur zu hastig zum Haus zurückkehrte, seine Blicke in ihrem Nacken. Verdammt, warum brachte sie es nicht fertig, mit der üblichen Routine ihre Fassung zu wahren? Er war nicht der erste Kerl, der seit Daniels Tod um sie warb. Gut, er gefiel ihr, zumindest vom Äußeren her, doch sie war eine Frau, die sich von niemandem leicht aus der Ruhe bringen ließ. Lag es überhaupt in Nathaniels Absicht, ihr den Kopf zu verdrehen? Das vage Gefühl beschlich sie, dass er nicht freiwillig hier war. Aber was zum Teufel sollte jemanden wie ihn dazu bringen, gegen seinen Willen für sie zu arbeiten? Das war doch idiotisch.
Josephine wischte ihre Grübeleien beiseite und kehrte in die Küche zurück. Die Tatsache, dass sie während der nächsten halben Stunde ungefähr alle fünf Sekunden zur Uhr schielte, brachte sie umso mehr aus dem Konzept. Himmel, was war los mit ihr? Ihre Nervosität war lächerlich. Nein, sie war aufregend. Prickelnd und neu.
Es war Punkt halb eins, als Nathaniel hereintrat. Erneut lag dieses undurchschaubare Lächeln auf seinen Lippen. Das Kraftfeld seiner Präsenz besaß eine Intensität, unter der sich ihre Nackenhärchen sträubten.
„Also dann. Ich spiele gern
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