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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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wiederholte sie.
    „Du bist gut. Lässt du mir denn eine Wahl?“
    „Nein. Ich werde dich tagein, tagaus belagern. So lange, bis du nachgibst. Frag Jacob, er wird dir bestätigen, dass ich eine verdammte Nervensäge sein kann.“
    Wieder lachte er. Leise und verführerisch. „Glaub mir, an mir würdest du dir die Zähne ausbeißen. Aber weil ich meine Ruheschätze, sei es drum. Komm mit.“ Er ging zur Wiese, die sich zwischen den Südweiden und dem Wald erstreckte. Etwa zwanzig Schritte von einem abgestorbenen Ahornbaum blieb er stehen. „Du wirst den Bogen nicht ganz spannen können.“ Nathaniel überreichte ihr die Waffe so feierlich, als handele es sich um eine Zeremonie. Sein Blick zeigte kläglich kaschierten Argwohn.
    „Du hast ihn nie einem Fremden in die Hand gegeben, habe ich recht?“ Josephine seufzte, als sie das Gewicht dieses wunderbaren Relikts in ihren Händen spürte. Der Mittelteil war umwickelt mit brüchigem Leder. Sie erkannte Tierfiguren, die in die dunkle, äußere Schicht Holz eingeschnitzt worden waren. Ein Wolfskopf, ein Vogel und zwei stilisierte Büffel. Die innere Schicht Holz war heller und besaß die Farbe alten Honigs. Lederstreifen verzierten beide Enden des Bogens.
    „Ich gebe ihn niemals einem Fremden“, bestätigte er. „Du bist die Erste. Denke daran, wie alt er ist. Er hat viele Kriege gesehen. Viele Schlachten und viel Tod. Er ist genauso lebendig wie du oder ich. Du musst ihm Ehre erweisen.“
    Josephine strich mit der Spitze ihres Zeigefingers über die polierten Rundungen des Bogens. „Ist er ein Erbstück?“
    „Gewissermaßen.“
    „Und wie erweise ich ihm Ehre?“
    „Behandele ihn so, wie du einen treuen Freund behandeln würdest.“
    Josephine nickte. Mit klopfendem Herzen nahm sie den gelb gefiederten Pfeil, den Nathaniel ihr entgegenhielt.
    „Nimm besser den hier. Die anderen sind zu alt und zu kostbar. Solange man übt, gehen sehr viele zu Bruch. Den Bogen hältst du bereits richtig, mein Kompliment. Jetzt leg den Pfeil an. Die Sehne nimmst du so zwischen die Finger.“
    Seine Hand schloss sich warm um die ihre. Während Nathaniel ihre Finger dirigierte, atmete sie den Duft seines Körpers ein.
    „Sehr gut“, raunte er. Josephine ächzte vor Anstrengung. Sie hatte den Bogen kaum bis zur Hälfte gespannt und schon verließen sie die Kräfte. Ihr Arm, der die Sehne hielt, begann zu zittern, ihre Schulter schmerzte.
    „Kümmere dich nicht darum. Am Anfang ist das ganz normal.“
    Nathaniels Hand berührte ihren Ellbogen und drückte ihn nach unten. „Dein Arm und der Pfeil müssen eine Linie bilden. Jetzt noch etwas höher, sodass dein Daumen deinen Mundwinkel berührt. Sehr gut. Jetzt visier das Ziel an. Such dir einen Punkt aus, den du treffen willst, und ziel ein wenig höher, denn der Pfeil vollführt im Flug immer einen Bogen.“
    Josephine genoss seine Berührungen. Sanft korrigierte er ihre Haltung, drückte ihren Ellbogen höher und ihre Hand etwas nach unten. Als seine Finger ihren Schenkel streiften, schnappte sie unwillkürlich nach Luft.
    „Stell das Bein ein wenig zurück“, murmelte Nathaniel. „Genau so. Und jetzt lass los.“
    Josephine gehorchte. Der Pfeil vollführte einen trudelnden Flug, kam zu weit nach rechts ab und knallte gegen einen Zaunpfosten.
    „Er ist nicht mal stecken geblieben.“ Ihre Enttäuschung saß tief, doch Nathaniel winkte beschwichtigend ab.
    „Am Anfang dringt er gar nicht oder nur ganz flach ein.“ Angesichts ihres aufglühenden Gesichtes grinste er schalkhaft. „Nur keine Sorge. Nach und nach bekommst du das richtige Gefühl. Und die nötige Kraft, um den Bogen ganz zu spannen.“
    „Ich hoffe es.“ Josephine nahm ein weiteres Geschoss entgegen und legte es auf die Sehne. Diesmal gab er ihr keine Hilfestellung, was sie auf gewisser Ebene enttäuschte. Keine Emotion war in seinem Gesicht auszumachen, weder Tadel noch Wohlwollen. Sie versuchte, auf alles zu achten, und diesmal bohrte sich die Spitze des Pfeiles mit einem dumpfen Schlag in die Borke des Baumes.
    „Gut gemacht.“ Nathaniel zeigte die Andeutung eines Nickens. „Und gleich noch mal. Hier.“
    Er warf ihr einen weiteren gelb gefiederten Pfeil zu. Wieder traf sie, auch wenn das Geschoss nicht stecken blieb, sondern zu Boden fiel. Der vierte traf knapp unter dem zweiten Pfeil sein Ziel, während der fünfte um ein Haar den dritten gespaltet hätte.
    „Ich habe den Bogen raus.“ Josephine triumphierte. „Im wahrsten Sinn des

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