Nathaniels Seele
Debatten zu führen. Guten Abend.“ Mit diesen Worten fuhr Josephine herum und marschierte zum Haus zurück. Einerseits, weil die Wut sie übermannte, andererseits, weil irgendetwas an Nathaniel ihr Angst einjagte. Hinter diesem Mann, dessen Ruhe und stille Kraft sie vor Kurzem noch in einen weichen Umhang eingehüllt hatte, ruhte etwas Rohes, Ungezügeltes. Dieses Etwas wäre hervorgebrochen, ohne Zweifel, und was dann geschehen wäre, wollte Josephine nicht wissen.
Wieder brodelte der Zorn in ihr. Und ging Hand in Hand mit tiefer Verwirrung.
Als der Abend heraufdämmerte, war Noname nirgendwo auszumachen. Er kam nicht einmal, als Josephine eine Dose Thunfisch öffnete und den sonst unwiderstehlichen Lockruf erklingen ließ. Niemals hätte sich der Kater diese Leckerei entgehen lassen. Es sei denn, irgendetwas war passiert. Im Geiste sah sie bereits Nonames leblosen Körper im Gebüsch liegen. Oder zusammengequetscht in einem versehentlich offen gelassenen Fenster hängen. Katzen kannten tausend Arten, sich dümmstmöglich ins Jenseits zu befördern. Josephine suchte in der Waschmaschine und in den Motorhauben der Traktoren und des Wagens. Sie durchkämmte sämtliche Ställe, den Keller, den Schuppen und den Heuschober. Nichts. Auch Nonames Lieblingsplatz, der alte Ahornbaum am Rande der Südweiden, war leer. Als sie schließlich ein zweites Mal in den Pferdestall stürmte, kam Nathaniel ihr entgegen.
„Was ist los?“ Erschöpfung klang in seiner Stimme mit. Er sah müde aus, wie es nach einem Tag auf der Farm üblich war. Sein Haar fiel offen und zerzaust über ein naturfarbenes Leinenhemd. Es roch nach Weichspüler. Was für ein unpassender, gewöhnlicher Duft. Doch nicht einmal das Aroma nach Vanille und das helle Hemd konnten darüber hinwegtäuschen, dass er zurückgekehrt war – der Finsterling aus dem Wald. Der absonderliche Fremde, das Mysterium auf zwei Beinen. Josephine schauderte, als Nathaniels pechschwarze Augen sie musterten. Sie blickten glasig wie die eines Fiebernden.
„Hast du den Kater gesehen?“, brachte sie krächzend hervor.
„Den Schwarzen?“ Nathaniel rückte seine Tasche zurecht.
„Ja. Er ist verschwunden.“
„Ich habe ihn nicht gesehen.“
Sie musterte ihr Gegenüber argwöhnisch. „Was sind das für Haare auf deinem Hemd?“
Die beiden obersten Knöpfe standen offen, sodass Josephines Blick auf den Talisman und die Haut darunter fiel. Sie war schweißnass, obwohl er frisch geduscht zu haben schien. War er vielleicht krank?
„Katzenhaare?“, mutmaßte Nathaniel unschuldig.
„Hast du was mit ihm angestellt? War es dein Hund? Was meintest du vorhin mit Konsequenzen?“
Nathaniels Augen verfinsterten sich. Sie spürte seine Wut aufkochen wie Lava in einem zuvor ruhenden Vulkan. „Erwischt“, gab er maliziös zurück. „Ich brauchte deine Katze dringend für ein blutrünstiges Indianerritual. Was dachtest du denn?“
Josephine erbleichte. Sie sah sehr wohl das Grinsen, das sich um seine Mundwinkel legte. Aber da war auch diese kochendheiße, unberechenbare Aura, deren Besitzer sie alles zutraute. „Wo ist er? Sag mir sofort, wo er ist!“
„Welcher Teil von ihm?“
„Du kranker Irrer!“
„Was war das denn?“ Nathaniel runzelte die Stirn. „Eine negative Entladung?“
Josephine empfand das dringende Bedürfnis, ihre Hand in seinem Gesicht zu platzieren. „Du sagst mir sofort, wo er ist.“
„Tut mir leid, ich muss gehen. Viel Glück bei der Suche.“
„Wohin gehst du?“
„Zum See,“ antwortete er mit einem Seufzen.
„Und was willst du da?“
„Ich will mein Ritual beenden. Ein paar Zutaten fehlten mir noch. Du weißt schon. Krähenaugen, Innereien und dergleichen. Deswegen bitte ich dich nicht darum, dass du mir nicht folgst. Ich befehle es dir. Und gehe nicht in meine Wohnung. Ich habe ein paar Skalps zum Trocknen aufgehängt. Der Anblick könnte dein zartes Seelchen in Mitleidenschaft ziehen.“
Er rückte noch einmal seine Tasche zurecht und verschwand aus dem Stall, zu schnell, als dass Josephine dazu gekommen wäre, ihm eine passende Bemerkung entgegenzuschleudern. Wie schon bei ihrer ersten Begegnung schlug ihr Herz dumpf gegen den Brustkorb, rauschte ihr Blut in den Ohren und übermannte sie der Schwindel. Diesmal war das Ausmaß ihrer Wut noch größer. So groß, dass sie eine Zeit lang fassungslos dastand und versuchte, sich ansatzweise unter Kontrolle zu bringen.
„Du elender Mistkerl“, stieß sie schließlich zwischen
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