Nathaniels Seele
helfen?“, widersprach der Alte. „Wie soll Tod dir helfen?“
Fürsorglich nahm er Absás Kopf in seine Hände, um ihn zurück in die richtige Position zu drehen. Er zog den Pfeil aus ihrer Brust, warf ihn beiseite und half ihr zum dritten Mal auf die Beine. Als zorniges, feuchtes Gurgeln aus Absás Kehle drang, wusste Nathaniel, dass ihre Liebe zu Woksapa ihn diesmal nicht schützen würde. Das Eigentümliche war, dass er nach Schmerzen gierte. Er wartete voll euphorischer Wut auf sie, bereit, ihnen klaglos die Stirn zu bieten. Absá mochte ihn auf ihre Weise beherrschen, doch niemals würde sie seinen Geist brechen. Noch immer war er stärker als sie, denn es lag in seiner Macht, ihr das zu verwehren, wonach sie gierte.
„Jeden anderen hätte ich längst getötet.“ Aus den Augen der Schamanin sprühten Hass und sadistische Gier. Sie schlug die Arme des Alten beiseite und wankte auf Nathaniel zu. „Du lebst nur noch, weil er deinen Körper und deinen Geist als vollkommen empfindet. Er hat sich mit dir vereint und ich kann euch nicht trennen. Ich hasse und liebe dich, weil es niemals wieder ein perfekteres Gefäß für ihn geben wird. Ich hasse und liebe dich, weil du mir mit jedem Atemzug das Ende meines Daseins zeigst.“
Ein dürrer Arm streckte sich nach Nathaniel aus, Klauen krümmten sich und richteten sich auf seine Brust. Ein unsichtbares Gewicht lastete plötzlich auf seinen Schultern, drückte ihn zu Boden und zwang ihn in die Knie. Die nutzlose Anstrengung, sich gegen diese Macht zu wehren, ließ seinen Körper zittern.
„Ich hätte es dir leicht gemacht.“ Absá kniete vor ihm nieder. Mit dem Funkeln des Hungers in den Augen wand sie ihm den Bogen aus der Hand und streifte den Köcher über seine Schulter. Der Alte währenddessen bereitete im Hintergrund das Nötige vor. In murmelnden Sprechgesang verfallend, legte er jedes Heiligtum an den vorgesehenen Platz, entzündete ein Bündel Süßgras und übergab seine Bitten dem Rauch.
„Mögen unsere Tapferkeit und unser Mut sich des Totems würdig erweisen. Möge uns die Scharfsicht des Adlers gegeben werden und die Stärke des Heiligen Büffels, den nur die Auserwählten sehen. Mögen unsere Herzen stark genug sein, den falschen Weg bis zum Ende zu beschreiten, um die alten Zeiten zurückkehren zu sehen.“
Absás Klauen griffen nach Nathaniels Hemd. Als sie den ersten Knopf öffneten, erfüllte bleierne Schwere seine Glieder und machte jede Bewegung unmöglich. Allein sein Zorn brannte mit unverminderter Heftigkeit und gab ihm das Gefühl, als fließe nicht Blut, sondern Feuer durch seine Adern. Es war unmöglich, sich zu wehren. Vollkommen unmöglich. Nathaniel schloss dieAugen, er wusste, dass Absá die lodernde Verachtung getrunken hätte wie jenen wilden Honig, den sie seit Ewigkeiten liebte.
Mit wachsender Verzweiflung konzentrierte er sich auf den Geruch des Windes. Er hielt sich am Aroma der Erde und des Wassers fest, ließ das Zirpen der Grillen und das Rauschen der Bäume seinen Geist erfüllen. Er beschwor schöne Erinnerungen herauf und dachte an die Kanuausflüge, die ihn und Cuncana manchmal einen Mond lang über den Fluss geführt hatten. Irgendwann im Sommer waren sie das letzte Mal gemeinsam unterwegs gewesen. Mondhell war der Strom in der Nacht an ihnen vorbeigeglitten und am Tage oft so ruhig gewesen, dass nur das Geräusch ihrer eintauchenden Paddel die Stille gestört hatte.
Als Absás scharfe Nägel über seine Haut kratzten und zwei weitere Knöpfe öffneten, erinnerte er sich an das wohlige Rasen seines Herzens, als ihr Kanu nach dem Ritt auf den Stromschnellen unbehelligt in ruhiges Wasser geglitten war. Das Lachen seines Sohnes hallte von hoch aufragenden Felswänden wider, Stolz glitzerte in seinen Augen. Schließlich, als Absá geifernd vor Ungeduld das Hemd zerriss und beiseite schleuderte, dachte er an den Geschmack von Josephines Küssen. Er lag auf den Decken im Stall und vereinte sich mit ihr. Trank ihre Seufzer. Leckte den Schweiß von ihrer Haut.
„Wasu“, fauchte die Schamanin den Namen des Alten und legte eine Hand flach auf Nathaniels Brust. Atem, geschwängert vom Geruch nach Fäulnis, glitt über seine Wange. „Du wolltest es so, mein Liebster. Alle Schmerzen, die du empfinden wirst, hast du dir und deiner Unbeugsamkeit zu verdanken. Es wäre so leicht, wenn du es endlich akzeptieren würdest.“
„Niemals.“
„Dann wirst du wie all jene enden, die vor dir dachten, sie könnten sich ihrem
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