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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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erinnerst?“
    Jorge starrte ihn an. Dann das Blut auf seiner Hand. Schließlich den Mond. „Die Raststätte. Beschissener Kaffee. War pinkeln. Und dann … nichts.“
    „Ja“, murmelte Mario. „Geht mir genauso.“
    „Haben wir Drogen eingeschmissen?“
    „Keine Ahnung. Hatten wir welche dabei?“
    „Ich glaube nicht.“
    Mario massierte sich mit beiden Händen die Schläfen. Eine Weile saß er stumm neben seinem schweigsamen Bruder und versuchte, in der Leere seiner Erinnerung irgendetwas Hilfreiches zu finden. Vergeblich. Schließlich krochen die Lichter zweier Scheinwerfer durch die Dunkelheit. Ein Wagen bog um die Ecke und kam vor ihnen zum Stehen.
    „Was ist denn hier los?“ Mario hörte eine raue Stimme, dann ein Lachen. Als das Fenster heruntergekurbelt wurde, blickte er in das Gesicht eines Mannes, dessen Gesicht unter all dem Haarwust kaum auszumachen war. „Hat euch der Blitz getroffen oder warum hockt ihr da wie zwei Uhus nach’m Waldbrand?“
    „Wohin fahren Sie?“ Mario rappelte sich auf und hätte fast geschrien, als sein Gehirn diese Bewegung mit höllischem Schmerz bestrafte.
    „Havre“, brummte der Fahrer.
    „Können Sie uns in der nächsten Stadt absetzen? Am besten so nahe an Great Falls wie möglich.“
    „Wenn ihr mir versprecht, keine Scheiße zu bauen, mach ich auch ’nen Umweg direkt nach Great Falls. Muss ich sowieso vorbei, mehr oder weniger. Also rein mit euch. Passiert ja nicht alle Tage, dass man auf zwei Käuze wie euch trifft. Touristen, was? Habt den Kompass vergessen und den Rucksack verloren?“
    Mario schnaufte. „Wie wäre es mit alles verloren?“

     
    Keine Kraft dieser Welt hätte es vermocht, ihm in dieser Nacht Beherrschung zu schenken. Absá spielte mit ihm. In ihrem vom Zahn der Zeit zerstörten Geist schien nur noch Raum zu sein für Grausamkeiten ohne Sinn. Zermürbende Spiele waren ihre einzige zurückgebliebene Leidenschaft, nur dazu dienend, ihre Macht unter Beweis zu stellen. Doch es war nicht nur der tiefe Abscheu, den er ob der Aussicht empfand, seine Kraft mit ihr teilen zu müssen. Es war nicht das unangenehme Ritual, das auf ihn wartete, oder das Wissen, wie Absá ihre neu gewonnene Kraft auszukosten pflegte. Es war in erster Linie die Tatsache, dass sie glaubte, auch mit Josephine spielen zu können.
    Liebe durchfloss seinen von Zorn getränkten Geist, so stark und vertraut, dass er nicht wusste, ob er verzweifeln oder dem Mysterium auf Knien danken sollte. Nur ein winziger Schritt trennte ihn von der Schwelle, hinter der es gefährlich wurde. Oder hatte er die Schwelle längst überschritten? Mit einem Fuß zweifellos, und nun wartete der andere ungeduldig darauf, den letzten Schritt zu wagen.
    Man war seinem Geheimnis auf der Spur. Der Mann namens Hazlewood, der Josephine seit Jahren bedrohte, kannte den wahren Kern in Woksapas Legende. Nathaniel hoffte, dass seine Einschüchterung und geistige Manipulation genügt hatten, die Besessenheit im Gehirn dieses Mannes zu heilen. Doch von allen Emotionen, die den menschlichen Geist vergiften konnten, war Hazlewoods Form der Besessenheit die stärkste. Geriet seine Macht in die falschen Hände, würde Absá ihn zwingen, das Nötige zu tun. Josephine würde nicht mehr sein als ein Spielball, dessen Opferung die Schamanin emotionslos in Kauf nahm.
    Nathaniel verfiel in den weichen Laufschritt der Jäger, um die wüsten Szenarien aus seinem Kopf zu verbannen. Nichts befreite mehr, als einfach zu laufen. Zu laufen, bis die Welt hinter einem lag und der Geist frei war. Nichts zu spüren außer dem Schlagen des Herzens und dem Spiel der Muskeln, die den Körper immer weiter trugen. Doch diesmal fanden seine Gedanken keine Erlösung. Er hätte Hazlewood töten sollen. Einen wirren Geist wie diesen zu manipulieren, war schwierig und äußerst heikel. Was, wenn es ihm nicht gelungen war? Und selbst wenn, würde die Erinnerung des Mannes möglicherweise zurückkehren, wenn er bestimmte Dinge sah. Aufzeichnungen, die von der Legende erzählten. Artefakte oder sonstige Kleinigkeiten, die er zweifellos gesammelt hatte, um das Geheimnis zu lüften. Er hätte ihn töten sollen. Ein Fehler wie dieser war unverzeihlich. Doch nicht nur Josephine hatte ihn gehindert, sein Werk zu vollenden. Absás Stimme war in jenem Moment, da er Hazlewood hatte zerstören wollen, durch seinen Geist geweht.
    Lass ihn leben. Seine Aufgabe ist noch nicht erfüllt
.
    „Räudige Kojotin“, fluchte Nathaniel. „Was führst du im

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