"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Urkundenfälschung und unerlaubten Waffenbesitzes bekam sie eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Nachdem sich Ulrike Meinhof im Mai 1976 in Stammheim erhängt hatte, wurde Mohnhaupt in den Hochsicherheitstrakt im siebten Stock der Betonburg verlegt. Bevor sie nach Bühl überstellt wurde, saß sie in Stammheim ein halbes Jahr mit der RAF-Führung zusammen. Besonders Gudrun Ensslin machte es sich zur Aufgabe, Mohnhaupt als Bevollmächtigte der inhaftierten Führung aufzubauen. Sie und Baader waren seit Jahren unzufrieden mit ihren Nachfolgern im Untergrund. Die waren meist nach kurzer Zeit verhaftet worden und hatten kaum Aktionen zustande gebracht.
Mohnhaupt bekam eine intensive Schulung und präzise Aufträge. Nach ihrer Freilassung sollte sie als Erstes das Stuttgarter Anwaltsbüro von Klaus Croissant gründlich reorganisieren. Die Anwälte und zahlreiche Mitarbeiter, die mit der RAF sympathisierten, hatten eine zentrale Funktion für die Stammheimer. Sie waren das Band zwischen drinnen und draußen, überbrachten Botschaften und organisierten die Propaganda.
»Die Umstellung vom Knast zur Freiheit wirkte auf die sowieso schon nicht phlegmatische Mohnhaupt wie ein Aufputschmittel«, erinnerte später Volker Speitel, der vom wichtigsten Kurier der RAF zum inoffiziellen Kronzeugen gegen sie geworden war. »Sie konnte zwei Tage überhaupt nicht pennen, quasselte ununterbrochen.« Schon am ersten Tag wollte sie Klaus Croissant, den seine Mitarbeiter respektvoll »den Alten« nannten, aus seiner eigenen Kanzlei rausschmeißen. Mohnhaupt sprach selbst von einer »Säuberung«; die Mitglieder des Büros wurden von ihr vernommen und bekamen neue Jobs zugewiesen.
»Das Schlimmste an der Mohnhaupt«, lästerte Speitel, sei »ihre riesige Paranoia« gewesen. Sie entfachte »mehr als einmal« im Auto unterwegs kleine Feuer, um brisante Dokumente zu verbrennen, weil sie glaubte, der Wagen würde verfolgt. 2 Nachdem sie zwei Wochen lang bei den Unterstützern gewirbelt hatte, ging Mohnhaupt wieder in den Untergrund. Als Erstes traf sie Rolf Heißler, ihren früheren Freund aus Münchner Kommunezeiten, sowie Peter-Jürgen Boock. Zwischen ihr und dem einstigen Heimzögling Boock funkte es sofort. Innerhalb kürzester Zeit waren sie ein Paar und die neue Führung der Illegalen. Mohnhaupt hatte die ideologische Härte der RAF, war aber mit Waffen ungeschickt. Das wiederum war das Feld Boocks. Das Paar gründete seine Autorität nicht zuletzt darauf, dass sie die Einzigen der Gruppe waren, die Baader und Ensslin persönlich kannten und noch in Freiheit erlebt hatten.
Der Kopf der Doppelspitze war Mohnhaupt - was für die RAF nicht ungewöhnlich war. »Die Frauen hatten bei der RAF das Sagen«, sagt ein ehemaliger Terrorist. »Wir Männer waren nur für das Grobe und das Handwerk zuständig.« Eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Hierarchie existierte bei der RAF von Anfang an. Von der Gründung im Jahr 1970 bis zur ihrem Selbstmord im Mai 1976 hatte die Journalistin Ulrike Meinhof nahezu alle Texte für die RAF verfasst. Die moralische Instanz und zugleich die Finanzchefin der Gruppe war Gudrun Ensslin. An der ersten Aktion der RAF, der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader im Mai 1970, waren neben Ensslin fünf Frauen, aber nur ein Mann beteiligt.
War die erste Generation der RAF in der Mehrzahl noch männlich, so verkehrte sich das Verhältnis später: Im Dezember 1976 handelte es sich bei 15 der 28 vom Bundeskriminalamt gesuchten Terroristen um Frauen. Zumindest bis 1986 waren Frauen auf den Fahndungsplakaten stets stärker vertreten als die Männer. 3 Die RAF nahm die Gleichberechtigung der Frau ganz ohne Quotierung vorweg. Als wollten sie das terroristische Feminat unterstreichen, überfielen im Sommer 1977 sieben RAF-Frauen in Essen eine Bank. Sie erbeuteten über 400 000 Mark und flüchteten allesamt auf Fahrrädern.
Der Verfassungsschützer Hans Horchem wunderte sich bei der RAF über eine »personelle Zusammensetzung für die es kein Beispiel gibt«. Sein pensionierter Kollege Günter Nollau witterte »einen Exzess der Befreiung der Frau«. 4 In der umfangreichen Literatur über die RAF ist das Frauenthema weitgehend ausgespart. Was die Gruppe in jedem Fall von der Gesellschaft unterschied, die sie bekämpfte: Lesben waren in ihren Reihen absolut akzeptiert. Die sexuelle Orientierung ihrer Mitglieder war in der RAF kein Thema.
Gudrun Ensslin hatte ihrer Nachfolgerin Mohnhaupt einen weiteren
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