"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Attentat auf den Generalbundesanwalt Siegfried Buback war; seine Initialen entsprachen dem Namen der populären Margarinemarke SB; »Big Money« sollte, so glaubte die Bundesanwaltschaft, der Deckname für die Entführung des Bankiers Jürgen Ponto sein. In Wirklichkeit stand er für das Kidnappen eines Industriellen, um mit einem hohen Lösegeld die Kriegskasse zu füllen. Das Kürzel »H. M.« entzifferte die Bundesanwaltschaft später als Hanns Martin Schleyer. Das ist auch falsch, da die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten damals noch nicht geplant war.
Bei der Entschlüsselung der Decknamen machten die Ermittler einen fatalen Fehler. Sie identifizierten Johannes Thimme, einen ehemaligen Schulkameraden und Freund Christian Klars, als »Tim«. Thimme, der zwar die RAF unterstützte, aber ihr nie angehörte, saß dann unter anderem wegen »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« 22 Monate in strikter Einzelhaft. Später war er wegen des Verteilens eines Flugblatts, das zur »Solidarität mit der RAF« aufrief und als Werbung für eine terroristische Vereinigung gewertet wurde, zu anderthalb Jahren Haft verurteilt worden. Im Januar 1985 kam er in Stuttgart bei dem Versuch, eine selbstgebaute Bombe zu legen, zu Tode.
In Wahrheit war mit »Tim« nicht Thimme, sondern Peter-Jürgen Boock gemeint. Die Decknamen, von denen die Terrorfahnder nur drei entschlüsseln konnten, sind folgenden Mitgliedern der RAF zuzuordnen:
Anton: Rolf Klemens Wagner
Bodo: Günter Sonnenberg
Ede: Christian Klar
Egon: Siegfried Haag
Hans: Stefan Wisniewski
Inge: Waltraud Boock
Käthe: Friederike Krabbe
Karl: Rolf Heißler
Michael: Roland Mayer
Olga: Sieglinde Hofmann
Paula: Verena Becker
Tim: Peter-Jürgen Boock
Aus den Haag-Papieren hätten die Ermittler lernen können, dass für »Pappen basteln«, das heißt Dokumente fälschen, Boock zuständig war; oder dass Rolf Klemens Wagner dafür kritisiert wurde, dass er mit einer Frau geschlafen hatte, die nicht zur RAF gehörte: »Kritik Anton (vögeln mit leg. Braut).« 14
Der BKA-Präsident Horst Herold erklärte später dennoch: »Ende 1976 war das Ziel der informatorischen Überlegenheit über die RAF erreicht. Ende 1976 wussten wir mehr als diese über sich selbst.« In jedem Fall fehlte Herold und seine Fahndern eine entscheidende Information. In Stammheim war zu dieser Zeit vor allem Gudrun Ensslin damit beschäftigt, eine Mitgefangene zu instruieren, die ihre Nachfolge antreten sollte. Es war Brigitte Mohnhaupt. Sie bekam den Auftrag, nach ihrer bevorstehenden Haftentlassung die Illegalen auf Vordermann zu bringen und eine Offensive zu starten, mit der die Bundesregierung endlich in die Knie gezwungen werden sollte.
Andreas Baader und Brigitte Mohnhaupt in Stammheim, 5. Juli 1976.
Kapitel 5
Die Offensive
Am 8. Februar 1977 öffnete sich in dem badischen Städtchen Bühl das Tor des Gefängnisses. In die Freiheit schritt eine 27 Jahre alte Frau, die der Bundesrepublik Deutschland den Krieg erklärt hatte: Brigitte Mohnhaupt. »Die RAF war für sie heilig; das war ihr Leben, ihre Überzeugung«, charakterisierte Susanne Albrecht später die Frau, die sie im Sommer 1977 im Untergrund kennenlernte. Mohnhaupt sei in der Gruppe »absolut dominant« gewesen und man habe gewusst, »dass sie alles, was sie sagte, absolut ehrlich meinte«. Albrecht erinnert sich: »Sie konnte nicht verstehen, dass man anders leben oder denken konnte.« 1
Brigitte Mohnhaupt, die seit ihrer Haftentlassung im März 2007 in Süddeutschland lebt, war in Bruchsal aufgewachsen und 1967 nach München gegangen. Dort studierte sie Englisch, Geschichte und Zeitungswissenschaften. Sie wollte Journalistin werden. Zunächst durchaus dem Luxus zugetan und mit einem Adelsspross liiert, zog es sie bald in eine Münchner Kommune, in der mit Drogen, freier Liebe und Gemeinschaftseigentum experimentiert wurde. Mohnhaupt lernte Rainer Langhans und Uschi Obermeier kennen, die Medien-Ikonen der Jugendrevolte, doch das Pop-Paar war ihr zu unpolitisch. Mit anderen Studenten besetzte sie 1969 das Zeitungswissenschaftliche Institut der Münchner Universität, um gegen den Krieg der USA in Vietnam zu protestieren. Das Institut lag im Amerikahaus.
Im Frühjahr 1971 ging Mohnhaupt in den Untergrund. Als im Juni 1972 fast die gesamte erste Generation der RAF festgenommen wurde, schnappte die West-Berliner Polizei auch sie. Wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung,
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