"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Akt der Rebellion.« Davon ungerührt, erklärten ihre Mitkämpfer ihre Flucht in den Tod zum »staatlichen Mord«. Linksradikale in den westdeutschen Großstädten gingen am Abend auf die Straße. In West-Berlin plünderten sie Boutiquen. In Frankfurt warf ein Militanter einen Molotowcocktail in einen Polizeiwagen. Ein Polizist erlitt schwere Brandverletzungen. Mehr als 4000 Linksradikale gaben Meinhof in West-Berlin an einem heißen Frühsommertag das letzte Geleit. Am offenen Grab sagte ihr Verleger Klaus Wagenbach: »Was Ulrike Meinhof umgebracht hat, waren die deutschen Verhältnisse.«
Mitte des Jahres 1976 hatten sich gut zehn Deutsche bei der PFLP-SC in Aden versammelt. Auf Drängen der Palästinenser war Siegfried Haag zum »Leader« bestimmt worden, um mit den Gastgebern zu verhandeln. Er vereinbarte, dass die RAF-Aufbaugruppe in Westeuropa nicht erhältliche Waffen wie sowjetische Panzerfäuste bekommen und dafür die Palästinenser mit elektronischer Ausrüstung versorgen sollte. Vor allem aber erhielten die Deutschen eine militärische Ausbildung.
Das Camp aus britischen Kolonialzeiten lag auf einem Hügel am Rande der Wüste. Zwei jemenitische Soldaten hielten am Eingang Wache. Vor Sonnenaufgang standen etliche Kilometer Dauerlauf auf dem Programm, nach dem Frühstück Theorie oder auch mal das Auseinandernehmen eines Kalaschnikow-Schnellfeuergewehrs mit verbundenen Augen. Am Abend folgten Strategiediskussionen: Wie kann man die Stammheimer aus dem Knast holen? Die RAF war nun vollends auf sich selbst bezogen: Die Befreiung der Führung war das einzige Ziel.
Die Stammheimer hatten eine Liste mit Namen eines guten Dutzend möglicher Entführungsopfer aufgestellt, gegen die sie ausgetauscht werden könnten: Bundeskanzler Helmut Schmidt war dabei, der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger, Mitglieder der Industriedynastien Quandt und Flick, der Flick-Geschäftsführer Eberhard von Brauchitsch, der Bankier Jürgen Ponto und Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. 13
Unabhängig von Siegfried Haags Truppe und den Frankfurtern um Peter-Jürgen Boock hatte sich in Karlsruhe eine dritte Gruppe formiert, die den bewaffneten Kampf aufnehmen wollte: Knut Folkerts, Roland Mayer, Günter Sonnenberg, Christian Klar und dessen Freundin Adelheid Schulz. Sie hatten für selbstverwaltete Jugendzentren gekämpft, aber auch RAF-Gefangene im Knast besucht. Sie beteiligten sich an einem Hungerstreik vor dem Gebäude der Bundesanwaltschaft, fuhren nach Köln zu einer Demonstration gegen den »toten Trakt« und waren bei der Besetzung des Amnesty-Büros in Hamburg dabei. Nach dem Tod von Holger Meins begannen auch sie ernsthaft über den bewaffneten Kampf zu diskutieren.
Sie versuchten, mit der RAF in Kontakt zu kommen, aber das war sehr schwierig und dauerte lange. Als im Frühjahr und Sommer 1976 die Gruppe um Siegfried Haag vom Jemen nach Deutschland zurückgekehrt war, schlossen sich die Karlsruher ihr nach längeren Debatten an. Die »Förstergruppe«, wie sie intern aufgrund ihrer Schwarzwälder Herkunft genannt wurde, hatte bereits eine Aktion ins Auge gefasst, die Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Gemeinsam mit den Jemen-Rückkehrern erwogen sie zudem, einen reichen Industriellen zu entführen, um den ständigen Geldbedarf zu decken.
»Das Problem war«, sagt einer von ihnen, »dass die Stammheimer großen Druck gemacht haben, dass wir sie rausholen.« Aber zunächst habe man versucht, aus den Fehlern der RAF-Gründer zu lernen. Die Gruppe erkundete Ruheräume im europäischen Ausland, in Österreich, der Schweiz, Frankreich und den Niederlanden. Sie fand Wege, auf denen sich die Grenzen ohne Kontrollen überschreiten ließen.
Die Bundesrepublik war das gefährlichste Terrain. Als Siegfried Haag und Roland Mayer am 30. November 1976 in einem gestohlenen Opel Admiral unterwegs waren, brachten Zivilfahnder sie auf der Autobahn nahe dem hessischen Butzbach auf. Die beiden waren bewaffnet, ließen sich aber ohne nennenswerten Widerstand festnehmen. Andreas Baader nahm ihnen das sehr übel. Unangenehmer für die Illegalen war, dass Haag und Mayer brisante Dokumente im Auto liegen hatten: Strategiepapiere und Arbeitspläne. Von »Margarine« war darin die Rede, von »Big Money« und »Big Raushole«. Doch die Ermittler konnten die kodierten Aufzeichnungen nur zu einem kleinen Teil entschlüsseln.
Sie kamen nicht darauf, dass »Margarine« der Deckname für das
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