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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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der siebte Stock des Gefängnisses in Stammheim zu einem Hochsicherheitstrakt umgebaut worden. Auch als Reaktion auf die Hungerstreiks wurden darin nun bis zu acht RAF-Gefangene versammelt. Die »Stammheimer«, wie sie in der RAF bald hießen, konnten sich täglich bis zu vier Stunden auf dem Flur des siebten Stockes treffen. Sie entwarfen neue Pläne, und Anwälte sorgten dafür, dass diese zu den Illegalen gelangten.

    Um internationale Aufmerksamkeit zu erregen, bat Ulrike Meinhof den französischen Philosophen Jean-Paul Sartre, Baader in Stammheim zu besuchen und der Gruppe »den Schutz deines Namens« zu geben. Der kranke, fast völlig erblindete Schriftsteller reiste tatsächlich aus Paris an, aber glaubte, dass Baader in der fensterlosen Sprechzelle gehalten werde, in der er ihn getroffen hatte. Auf einer Pressekonferenz, bei der Dany Cohn-Bendit für ihn übersetzte, sagte Sartre über die RAF: »Diese Gruppe gefährdet die Linke. Sie ist für die Linke schlecht.« Ein Kommentator der »Frankfurter Rundschau« giftete dennoch: »Zu allem Überfluss muss der Rechtsstaat auch noch mit Verdächtigungen ausländischer Weltenrichter fertig werden.« 10

    Jean-Paul Sartre und Dany Cohn-Bendit nach ihrem Besuch in Stammheim am 4. Dezember 1974.

    Der wichtigste RAF-Mann im Untergrund war ab Frühjahr 1975 Siegfried Haag. Der Anwalt hatte schon den Stockholm-Attentätern geholfen, nun nahm er Verbindungen zur »Volksfront zur Befreiung Palästinas - Spezialkommando« (PFLP-SC) auf, die unter anderem vom Sowjetgeheimdienst KGB unterstützt wurde. Ende 1975 trafen Haag und die ersten Mitglieder einer neuen RAF-Gruppe in Aden ein, der Hauptstadt Südjemens. In einem Lager der PFLP-SC warteten bereits Verena Becker und Rolf Heißler, die bei der Lorenz-Entführung im März freigepresst worden waren. Sie kamen von der anarchistischen Bewegung 2. Juni. Aber da deren Aktivisten in Berlin verhaftet worden waren, schlossen sie sich der RAF an.

    Eine zweite RAF-Aufbaugruppe hatte sich schon ab 1974 in Frankfurt formiert. Ihre treibende Kraft war Peter-Jürgen Boock. Im schleswig-holsteinischen Garding 1951 geboren, geriet er schnell in Konflikt mit seinem Vater, einem vormaligen Berufsoffizier und laut Boock »überzeugten Nazi«. Er flüchtet in eine niederländische Kommune, doch seine Eltern ließen ihn zur Fahndung ausschreiben. Er landete in einem hessischen Heim, aus dem ihm Baader, Ensslin und Proll 1969 zur Flucht verhalfen. Nachdem sie verhaftet worden waren, sagte sich Boock: »Sie haben mich rausgeholt, jetzt bin ich es ihnen schuldig, sie rauszuholen.«

    »Er wollte mit allem möglichst auftrumpfen und immer der Größte sein«, beschrieb ihn Susanne Albrecht in einer Vernehmung. »Er hatte so eine schmierige Art, versuchte sich in einer gewissen Art einzuschmeicheln, aber guckte auf einen herab und vermittelte einem immer das Gefühl, dass man ein Nichts ist und er der King.« Boock sei, so Albrecht, »im wesentlichen Egoist«. 11 Neben Boocks Frau Waltraud war noch Rolf Klemens Wagner dabei. Die Truppe hatte, so Boock, bereits bei rund zwanzig Banküberfällen mehr als eine halbe Million Mark erbeutet und sich rund fünfzig Schusswaffen verschafft.

    Am Morgen des 9. Mai 1976 fanden Justizbeamte im siebten Stock des Stammheimer Gefängnisses die leblose Ulrike Meinhof. An einem in Streifen gerissenen Handtuch hing sie am Fenster ihrer Zelle. Die Journalistin war mit ihren Kräften am Ende gewesen. Sie war am längsten und härtesten der Isolationshaft im Gefängnis Köln-Ossendorf ausgesetzt gewesen. In Stammheim waren Konflikte in der Gruppe der RAF-Gefangenen, besonders zwischen Gudrun Ensslin und ihr, streckenweise zu Psychoterror eskaliert. Ensslin hatte Meinhof vorgeworfen, »die Prinzipien, also den Kampf, Deinen Fotzenbedürfnissen - dem Überleben - unterzuordnen«. Sie hatte auch an Meinhof geschrieben: »Na warte, die Kostüme der Müdigkeit, wie ich sie satt, wie ich sie gefressen habe … - die raunenden Pastoren, Pfadfinder, Tantchen, fressenden Weiber, Jüngelchen, uralte von Schminke erstickte, wesenlose Wesen - wie ich das satt habe: Hunger! … Bin ich im Kino oder was, Quäkerfilm, Suppenschildkröte, oder bin ich: Kampf!« 12

    Gefangene Ulrike Meinhof beim Hofgang, um 1974.

    Ensslin schrieb auch an Meinhof: »Das Messer im Rücken der RAF bist du, weil du nicht lernst …« Die Journalistin hatte schon Monate vor ihrem Tod an den Rand eines Zirkulars geschrieben: »Selbstmord ist der letzte

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