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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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Dauer keine Chance. »Denn gegen den Terrorismus steht nicht nur der Wille der staatlichen Organe, gegen den Terrorismus steht der Wille des ganzen Volkes.« 7

    Am Tag nach der Entführung findet ein Dekan in Wiesbaden eine Erklärung in seinem Briefkasten. Darin fordert die RAF die Freilassung von elf inhaftierten Mitgliedern: »andreas baader, gudrun ensslin, jan-carl raspe, verena becker, werner hoppe, karl-heinz dellwo, hanna krabbe, bernd rößner, ingrid schubert, irmgard möller, günter sonnenberg.« Die Gefangenen seien bis Mittwoch früh um 8 Uhr auf dem Flughafen in Frankfurt zusammenzubringen. »um 10 vormittags wird einer der gefangenen das kommando in direktübertragung durch das deutsche fernsehen über den korrekten ablauf ihres abflugs informieren.« Und: »jedem der gefangenen werden 100 000 dm mitgegeben.« 8 Die erste Erklärung des »kommandos siegfried hausner« beendet Brigitte Mohnhaupt mit dem Satz: »wir gehen davon aus, das schmidt, nachdem er in stockholm demonstriert hat, wie schnell er seine entscheidungen fällt, sich bemühen wird, sein verhältnis zu diesem fetten magnaten der nationalen wirtschaftscreme ebenso schnell zu klären.« Beigelegt sind ein Polaroidfoto des gefangenen Schleyer und ein Familienfoto, das er dabeihatte.

    Helmut Schmidt entschied in der Tat schnell. Eine Freilassung kam für ihn nach der brutalen Entführungsaktion unter keinen Umständen infrage. Der Staat, davon war er überzeugt, darf sich nicht von Terroristen erpressen lassen. Unter vier Augen sprach der Sozialdemokrat mit dem CDU-Oppositionsführer Helmut Kohl und versicherte sich dessen Unterstützung für seine harte Linie. Nicht lange vor Mitternacht trat zum ersten Mal der Große Krisenstab zusammen, Schmidt, der Justiz- und der Innenminister, drei Staatssekretäre, Regierungssprecher Klaus Bölling, die vier Ministerpräsidenten der Länder, in denen RAF-Mitglieder inhaftiert waren, die Vorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden der vier im Bundestag vertretenen Parteien, Generalbundesanwalt Kurt Rebmann und BKA-Chef Herold, der für Schmidt zum wichtigsten Berater wurde. Nach anderthalb Stunden Berichten und Diskussion fasste der Kanzler den Konsens zusammen: Schleyer soll befreit und die Entführer verhaftet, die RAF-Gefangenen nicht freigelassen werden.

    Schmidt und Herold verstanden den Angriff der RAF instinktiv als Krieg. Sie hatten als junge Männer den Zweiten Weltkrieg überlebt: Schmidt zum Beispiel den Horror der Ardennenoffensive, Herold die mörderische Panzerschlacht bei Kursk. »Wir hatten alle die Kriegsscheiße hinter uns«, sagte Schmidt später. »Der Krieg war eine große Scheiße, aber in der Gefahr nicht den Verstand zu verlieren, das hat man damals gelernt.« Auch Krisenstabsmitglied Friedrich Zimmermann, später Bundesinnenminister, meinte: »Der Leutnant Zimmermann, der Oberleutnant Schmidt und der Oberleutnant Strauß wussten, was Krieg war.« 9

    Bundeskanzler Schmidt und Arbeitgeberpräsident Schleyer im Mai 1977.

    Schmidt will zunächst Zeit gewinnen. Die Entführer sollen erst einmal ein neues Lebenszeichen von Schleyer beibringen. Gleichzeitig startet Herold die größte Fahndungsaktion der deutschen Polizeigeschichte. Er selbst geht in der BKA-Niederlassung in Bad Godesberg in Stellung; der Leiter der BKA-Abteilung »Terrorismusbekämpfung« quartiert sich mit seiner mit rund 150 Beamten ausgestatteten »SoKo 77« im Kölner Polizeipräsidium ein. Herold lässt gleich drei Zentrale Einsatzleitungen bilden. Statt der eingespielten Polizeiapparate der Länder hat jetzt das Bundeskriminalamt das Sagen.

    Anderthalb Tage nach der Entführung meldete ein Polizist, dass eine junge Frau für eine vor Kurzem vermietete Wohnung in Erftstadt-Liblar die Kaution in bar bezahlt hatte - so wie es die RAF-Logistiker gerne taten. Er machte die Leitung der Schutzpolizei des Kreises darauf aufmerksam, aber die beachtete den Hinweis nicht weiter. Zwei Tage später schickte die Polizeiführung des Kreises dann einen Hinweis auf die Wohnung, in der Schleyer saß, an das Kölner Polizeipräsidium. Nichts passierte. Weitere zwei Mal bekam die Sonderkommission den Hinweis auf die Wohnung in Erftstadt, doch niemand kam auf die Idee, den Namen der Mieterin bei der Datenbank Pios (Personen, Institutionen, Objekte, Spuren) abzufragen. Wäre das geschehen, hätten die Ermittler sofort erfahren, dass die Frau, auf deren Namen, ohne ihr Wissen, die Wohnung gemietet war, aus der linken Szene

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