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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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taten. 14 Aber es ist nicht bekannt, dass sie versucht hätten, die mehrfach und eindeutig von den RAF-Gefangenen angedrohten Suizide zu verhindern. Im Gegenteil: Die für die Postkontrolle in Stammheim zuständigen Richter ließen Stricke passieren, mit denen sich nach dem Wunsch der Absender die RAF-Gefangenen aufhängen sollten. Es deutet vieles darauf hin, dass die verantwortlichen Politiker und Beamten die angekündigten Selbsttötungen der Staatsfeinde stillschweigend duldeten.

    Am 19. Oktober 1977, einen Tag nach den Suiziden in Stammheim, wartet die RAF-Frau Silke Maier-Witt in einem Café unweit des Hauptbahnhofs in Frankfurt am Main auf einen Anruf aus Paris. Schließlich meldet sich ihr Genosse Rolf Klemens Wagner und gibt eine von Brigitte Mohnhaupt in Bagdad formulierte Erklärung durch. Maier-Witt notiert sie und sucht sich den nächsten Zug nach Hamburg heraus. Erst Minuten vor der Abfahrt ruft sie bei der Deutschen Presseagentur in Stuttgart an und verliest um 16 Uhr 21 die letzte Erklärung des »kommandos siegfried hausner«: »wir haben nach 43 tagen hanns martin schleyers klägliche und korrupte existenz beendet. herr schmidt, der in seinem machtkalkül von anfang an mit schleyers tod spekulierte, kann ihn in der rue charles péguy in mühlhausen in einem grünen audi 100 mit bad homburger kennzeichen abholen. für unseren schmerz und unsere wut über die massaker von mogadischu und stammheim ist sein tod bedeutungslos.«

    Um 21 Uhr 11 öffnen Sprengstoffexperten der französischen Polizei an dem genannten Ort den Kofferraum eines Audi 100. Sie finden darin die Leiche von Hanns Martin Schleyer. Mit drei Schüssen in den Kopf ermordet.

    Peter-Jürgen Boock erzählt im Jahr 2007, Rolf Heißler habe ihm in Aden vom Ende der Aktion »Spindy« berichtet. Der Beschluss, Schleyer zu erschießen, sei nach kurzer Diskussion in Brüssel gefasst worden. Wisniewski und Heißler hätten ihn dann gefesselt in den Kofferraum des Wagens gelegt und über die französische Grenze gefahren. In einem Wald hätten sie Schleyer erschossen und die Leiche wieder in den Kofferraum gelegt. Ursprünglich, so Heißler, laut Boock, sollten sie das Auto mit Schleyers Leiche in Bonn, in der Nähe des Kanzleramtes, abstellen. Aber dafür hätten sie die Nerven nicht mehr gehabt. 15 »Drecksarbeit« nannte Brigitte Mohnhaupt den Mord.

    Helmut Schmidt sagte später: »Wir sahen uns unauflöslich verstrickt - wie in einer griechischen Tragödie.« Trotz der Ermordung Schleyers war die Mehrheit der Westdeutschen angesichts der Rettung aller Geiseln in der »Landshut« erleichtert. Die nach Konsens und Ausgleich strebende Bundesrepublik hatte ihre bis dahin größte innenpolitische Herausforderung bewältigt. Damals, so registrierte der konservative Historiker Ernst Nolte erfreut, »war die Bundesrepublik zum ersten Mal ein Staat im Vollsinn des Wortes, weil die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung Tag um Tag und Stunde um Stunde mit ihrer Führung bangte und hoffte und schließlich trauerte«. 16 Auch der sozial-demokratische Justizminister Hans-Jochen Vogel befand im Bundestag: »Die Menschen haben in diesen Tagen und Wochen gespürt, dass der Staat mehr sein muss als eine Schönwetterveranstaltung zur Wohlstandsmehrung.«

    Die RAF hatte eine totale Niederlage erlitten. Sie war moralisch, politisch und militärisch gescheitert. Sie hatte Argumente für die Demontage des liberalen Rechtsstaats geliefert. Sie hatten den Ruf der radikalen Linken ruiniert. Vor allem anderen hatte die Terrorgruppe ihre Feinde gestärkt.

    Die positive Wirkung der RAF war von ihr selbst ungewollt, es war die Wirkung auf die radikale Linke, aus der ihre Kader gekommen waren. Diese Szene verabschiedete sich angesichts der Brutalisierung der RAF und ihrer Niederlage aus dem Krieg mit der Staatsgewalt. Die Linksradikalen begannen alternative Projekte aufzubauen, von Taxi-, Tischler- oder Sonnenenergiekollektiven bis zur »tageszeitung«. Aus dem Desaster der RAF zog die radikale Linke den Schluss, dass es nicht zu rechtfertigen ist, wenn eine kleine Gruppe die Revolution herbeizubomben versucht. Rudi Dutschke, Joschka Fischer, Jürgen Trittin, aber auch Christian Ströbele und Otto Schily und viele andere engagierten sich über kurz oder lang bei den Grünen. Sie machten sich auf den Weg zurück in die Gesellschaft, aus der sie ausgebrochen waren.

    Die bizarrste Folge der RAF-Offensive des Jahres 1977 ist eine andere: In 15 Städten Westdeutschlands -

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