Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
Vom Netzwerk:
von Mönchengladbach bis Trier - sind heute Straßen nach Hanns Martin Schleyer benannt. Indem sie ihn zum Opfer machte, hat die RAF dafür gesorgt, dass er in Deutschland geehrt wird wie kein anderer ehemaliger SS-Offizier.

Kapitel 8

    Exil und Verrat

    Es waren fünf Kriminalpolizisten der untergehenden DDR, die am 6. Juni 1990 für die größte Überraschung in der Geschichte der RAF sorgten. Die Ermittler des Zentralen Kriminalamtes beobachteten den Plattenbau in der Rosenbecker Straße 3 im Ost-Berliner Stadtteil Marzahn. Als eine Frau mit dunkelbraunen Haaren und Pagenschnitt in dem Haus verschwand, gingen sie hinterher und klingelten an der Wohnung 0201.

    »Um einen Sachverhalt zu klären«, wie es die Kripomänner formulierten, sollte die Anwohnerin Ingrid B. mitkommen. »Ich möchte gleich zu Beginn meiner Befragung erklären«, gab diese kurz darauf zu Protokoll, »dass meine eigentliche Identität nicht die der B., geborene Jäger, Ingrid ist.« Ihr wahrer Name, sagte sie bei der Vernehmung im Zentralen Kriminalamt in Berlin-Hohenschönhausen, sei »Susanne Albrecht«.

    Obwohl sie umgehend festgenommen wurde, war Albrecht erleichtert. Knapp zehn Jahre hatte sie in der DDR als Mensch ohne Vergangenheit gelebt. Zuletzt hatte sie Angst gehabt, verrückt zu werden. Seit sie im Juli 1977 ihrem »Onkel Jürgen« Ponto seine Mörder ins Haus brachte, hatten die Terrorfahnder des Bundeskriminalamtes nach ihr gesucht. Mal hatten BKA-Beamte erklärt, sie lebe in Beirut, mal sollte sie in Nicaragua untergetaucht sein. Nichts davon stimmte. Albrecht hatte klammheimlich im Arbeiter- und Bauernstatt Asyl gefunden. Und nicht nur sie.

    Sechs Tage nach Albrecht wurde Inge Viett, die 1980 von der Bewegung 2. Juni zur RAF gekommen war, in Magdeburg festgenommen; zwei Tage darauf in Frankfurt /Oder Monika Helbing und Ekkehard von Seckendorff-Gudent sowie in Senftenberg Christiane Dümlein und Werner Lotze; einen Tag später Sigrid Sternebeck und Ralf Baptist Friedrich in Schwedt an der Oder. Schließlich holten DDR-Kriminalpolizisten am 18. Juni 1990 Silke Maier-Witt und Henning Beer in Neubrandenburg ab. Da waren es dann zehn. Nahezu zehn Jahre hatten die ehemaligen Terroristen beim »kleinen Bruder«, wie die DDR im RAF-Slang hieß, im Exil verbracht.

    Die Bundesanwälte, denen es bis dahin nicht gelungen war, die Mordserie der RAF im Jahr 1977 genau aufzuklären, witterten Morgenluft. Sie boten den aus ihrem sozialistischen Alltag gerissenen Ex-Terroristen Strafminderung an, wenn diese als Kronzeugen aussagen würden. Bis auf zwei von ihnen, die bald freikamen, weil der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verjährt war, packten alle aus. Schließlich drohten ihnen sonst lebenslange Freiheitsstrafen.

    Die Bundesanwälte erfuhren jetzt zum Beispiel, in welch desolater Verfassung sich die RAF nach dem Scheitern der »Offensive 77« und dem Tod der RAF-Führung in Stammheim befunden hatte. »Alle Hoffnungen waren futsch, Ratlosigkeit machte sich breit«, sagte Sigrid Sternebeck aus. Niemand in der Gruppe habe mit einem solchen Ende gerechnet. »Ich war verzweifelt und sah keine Perspektive.« Der größte Teil der Gruppe saß demoralisiert in dem Quartier in Bagdad. 1

    In Europa war es für Mitglieder der RAF wesentlich gefährlicher. Nach einer wilden Schießerei nahmen im November 1977 niederländische Polizisten in Amsterdam Gert Schneider und Christoph Wackernagel fest. Die beiden hatten sich erst kurz zuvor der RAF angeschlossen und sollten für Peter-Jürgen Boock Drogen beschaffen. Der klagte, er habe wahrscheinlich Darmkrebs, ihn quälten ständige Schmerzen, in Wahrheit war er schlicht drogensüchtig. Schneider zogen die Polizisten einen Zettel von Boocks Gefährtin Brigitte Mohnhaupt aus der Tasche: »Das Zeug für Saki (Shit + K) ist nicht zum Vergnügen, d. h. es ist verdammt notwendig + dringend.« Saki war Boocks Deckname, »Shit« stand für Haschisch und »K« höchstwahrscheinlich für Kokain. Nur zwei Monate später wurde Christine Kuby in Hamburg festgenommen, als sie versuchte, mit einem gefälschten Rezept das Schmerzmittel »Fortral« zu kaufen. 2 Auch als Stefan Wisniewski im Mai 1978 in Paris verhaftet wurde, hatte er 44 Ampullen Drogen für Boock im Gepäck.

    Willy Peter Stoll, einer der Schützen bei der Entführung Schleyers, wurde im September 1978 in Düsseldorf in einem China-Restaurant von Polizisten erschossen, ebenso Elisabeth von Dyck im Mai 1979 in einer

Weitere Kostenlose Bücher