"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Stasi-Männer später, wollten sie nicht aufnehmen. Der Rückzug hinter den Eisernen Vorhang war dann perfekt organisiert. Jeder Aussteiger erhielt aus der RAF-Kasse 3000 Mark - »als Startkapital«, sagte Ekkehard Freiherr von Seckendorff-Gudent später aus. Der Hausarzt der RAF hatte auf Bitten von Viett und Klar »eine Sprecherrolle übernommen«. Keine »Führungsrolle«, wie er betonte.
Wenige Wochen nach der Asyl-Offerte reisten die acht Aussteiger in drei Gruppen gen Osten. »Palästinensische Genossen«, berichtete Lotze später, hätten »mündlich einen konkreten Ablaufplan« übermittelt, so seien er und seine Lebensgefährtin Dümlein von Frankreich aus erst mit dem Zug in die Schweiz nach Genf gefahren, dann über Zürich nach Wien. Von dort aus ging es nach Prag, zunächst ins »Parkhotel«, dann ins Hotel »Solidarität«. Erst als die acht Aussteiger in Prag versammelt waren, reiste Inge Viett an und eröffnete ihnen, dass sie künftig in der DDR leben würden. Eine »freudige Überraschung« war das für Sigrid Sternebeck. »Die Sprache würde vieles erleichtern.« Sie kannte, wie die anderen Aussteiger, die DDR vor allem von Fahrten auf den Transitstrecken nach West-Berlin. Ihr Eindruck: »Nette Leute, gutes, billiges Essen, aber irgendwie schien die Zeit stehen geblieben zu sein.« 4
Um die Modalitäten der Übersiedlung der RAF-Aussteiger zu besprechen, flog Seckendorff von Prag nach Ost-Berlin und lernte als erster das »Konspirative Objekt 74« kennen, das zur ersten Station der meisten RAF-Aussteiger in der DDR wurde. Die unweit von Briesen bei Frankfurt /Oder gelegene Anlage bestand aus einem zweistöckigen Wohnhaus mit einer Bauernstube für geselliges Beisammensein im Keller.
Am 18. August 1980 flogen Ralf Friedrich und Sigrid Sternebeck nach Berlin-Schönefeld, wo sie zwei Stasi-Männer empfingen und in das »Zentrale Aufnahmeheim der DDR für Erstzuziehende und Rückkehrer« in Röntgental bei Berlin-Pankow brachten. Die RAF-Aussteiger hatten gefälschte westdeutsche Reisepässe dabei; die Hauptverwaltung Aufklärung der Stasi hatte Geburtsurkunden und eine Heiratsurkunde besorgt. Doch als Friedrich ein anderes Geburtsdatum nannte als das in seinem gefälschten Pass verzeichnete, wurde der Polizist misstrauisch. Einer der Stasi-Begleiter, der in einem Nebenraum über die delikate Einbürgerung wachte, musste eingreifen. Er bremste den pflichtschuldigen Polizisten und brachte die Neubürger nach Schwedt an der Oder.
Als Nächste fuhren Susanne Albrecht, Silke Maier-Witt und Monika Helbing gemeinsam mit dem Zug zum Berliner Ostbahnhof, von wo sie ein Stasi-Betreuer in das konspirative Forsthaus fuhr. Christine Dümlein und Werner Lotze informierte ein Palästinenser, wann es nun in die DDR gehe. Lotze hatte einen holländischen Pass dabei, und das Paar reiste mit der Legende »Geschäftsmann mit Sekretärin«. Als Letzte kamen Ekkehard von Seckendorff und ein zehn Jahre altes Mädchen, dessen Mutter - eine Frau der Bewegung 2. Juni - ein paar Monate zuvor in Paris verhaftet worden war.
Im Forsthaus mussten die Aussteiger ihre gefälschten Pässe und ihre D-Mark wieder abgeben und sich detaillierte Legenden ausdenken. Allesamt waren sie in Madrid, London oder Amsterdam geboren und waren aus politischen Gründen in die DDR übergesiedelt. Zur Übergabe der Staatsbürgerschaftsurkunden organisierten die MfS-Betreuer eigens eine kleine Feier.
Susanne Albrecht hieß nun Ingrid Jäger, war in Madrid geboren und wegen ihrer Ablehnung des Kapitalismus in der BRD in die DDR übergesiedelt. Sie begann ein Fernstudium an der Leipziger Karl-Marx-Universität mit dem Ziel, Englischlehrerin zu werden. Silke Maier-Witt - Angelika Gerlach - schrieb sich in Erfurt ein für den »Facharbeiter Krankenpflege«. Werner Lotze und Christine Dümlein waren Manfred und Katharina Janssen, sie Sekretärin der Betriebsberufsschule des VEB Synthesewerk Schwarzheide, er Ofenfahrer im Dreischichtsystem. Lotze wurde später Schichtleiter und, als begeisterter Ruderer, Trainer bei der Sportgemeinschaft Dynamo Senftenberg.
Langsam erholten die Aussteiger sich von den Strapazen der Illegalität und lebten das kleine Glück der DDR. Sie waren allerdings der Staatssicherheit ausgeliefert. Ihre Stasi-Betreuer hörten ihre Telefone ab, kontrollierten ihre Post und ließen in ihren Wohnungen Wanzen einbauen. Als Seckendorff und Helbing heirateten, fungierten zwei Stasi-Offiziere als Trauzeugen. Die MfS-Männer
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