Natürliche Selektion (German Edition)
wenig Geld eine altersschwache Ente, hatten die geniale Idee, die Vordersitze mittels Brecheisen zu Liegesitzen umzurüsten und so teure Hotelzimmer zu sparen. Er sah die Szene noch deutlich vor sich, wie sie ihren klapprigen 2CV neben den Nobelkarossen beim Vistaero parkten und zum ersten Mal auf das sagenumwobene Monaco und die Caps der Superreichen hinunterblickten. Solche Eindrücke waren geblieben, die Rückenschmerzen längst vergessen.
»Nein, sagte ich, hast du nicht zugehört?«
»Doch – alles klar. Warum wolltest du schon wieder unten durch?«
Sie schnaubte verächtlich. »Erstens ist unten anders und zweitens gibt es auf der Moyenne Corniche dieses malerische Bergdorf Èze, das man unbedingt besuchen muss. Steht in meinem Reiseführer.«
»Dir ist schon klar, dass noch andere Leute diesen Text gelesen haben? Wir werden wahrscheinlich nicht allein sein da oben.« Sie warf ihm einen Blick zu, der soviel sagte wie: Und? Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr ihn unvermittelt. Ehrlich bestürzt fragte er: »Die haben nicht etwa Markt in ihrem Dorf?«
Nun fuhr er also auf der stark befahrenen Strasse von Parkplatz zu Parkplatz Richtung Italien. Den Markt gab es nicht im idyllischen Èze, wohl aber das Gedränge. Doch der Weg über das Kopfsteinpflaster, an Souvenirläden und Mauern voller Jasmin und Ginster vorbei, zur Burgruine hinauf lohnte sich nur schon wegen der süßen Erdbeeren in Weinsauce mit hausgemachtem Vanilleeis auf der Terrasse des Chèvre d’Or, hoch über dem Cap Ferrat.
Sein Plan war, sie ohne Umwege in das charmante kleine Hotel in einem ehemaligen Kloster bei Ventimiglia, gleich hinter der Grenze, zu locken, das ihm Patrick empfohlen hatte. Aber sie schmiedete offenbar andere Pläne.
»Bei der nächsten Abzweigung geht’s rechts hinunter«, sagte sie kurz nach Èze, als wüsste er längst, was sie im Schilde führte.
»Du willst nach Monaco, in diese Betonwüste der Wichtigtuer?«
»Monte Carlo, um genau zu sein. Wenn wir schon da sind, will ich wenigstens einmal ins Kasino.«
»Wenn du bezahlst – ich habe schon verloren.« Er war zwar etwas aus der Übung, aber ein paar Runden Blackjack reizten ihn trotzdem.
»Vielleicht habe ich ja mehr Glück«, schmunzelte sie und lehnte sich entspannt zurück, als er die Corniche verließ.
Sein schnittiger Porsche nahm sich eher bescheiden aus zwischen dem Rolls-Royce Phantom und dem gelben Lamborghini auf dem Parkplatz vor dem Kasino. Allerdings störte er das Bild nicht gar so auffällig, wie er das am anderen Ende des Platzes getan hätte, allein unter den Nullachtfünfzehn-Kutschen der biederen Hausfrauen, die hier wohl ihr Kleingeld an einarmigen Banditen verspielten. Als er sie tatsächlich vor den Reihen der Spielautomaten sitzen sah, unweit der Zocker, die mit verkniffenen Gesichtern die Pferde auf den Bildschirmen in Gedanken anfeuerten, verflog der Zauber des mondänen Zeitvertreibs. Der ganze Prunk der Skulpturen, Fresken und schimmernden Onyxsäulen des Atriums, die vergoldeten Wände, Bronzeleuchter und bunt bemalten Fenster des Palastes: nichts weiter als lächerliche Operettenkulisse.
Leo ließ Michel am Blackjack-Tisch stehen und setzte sich mit ihren paar Chips an einen der Roulette-Tische. Sie hatte keine Ahnung von den Regeln, erinnerte sich nur diffus an ihre geringe Gewinn-Chance, aber für sie war das wirbelnde Glücksrad der Inbegriff des Spielkasinos. Es ging nicht ums Gewinnen. Sie wollte nur einmal selbst die Atmosphäre erleben und die Leute beobachten.
»Sie müssen setzen, Madame«, sagte ihre Nachbarin mit rauchiger Stimme und dem strahlendsten Lächeln, das sie je gesehen hatte. Die Frau war etwas jünger als sie. Ihre großen, blauen Augen schauten sie auffordernd an. Makellos weiße Zähne schimmerten zwischen vollen, blutroten Lippen. Am auffälligsten aber war ihr schlohweißes Haar, das ihr in langen geraden Strähnen über den schwarzseidenen Hosenanzug fiel. Ein durch und durch geschmackvoll aufgezäumtes Zirkuspferd , schoss ihr durch den Kopf. Die Frau verströmte einen unaufdringlichen, feinen Duft nach Rosen und Sandelholz. Einen Augenblick lang verschlug ihr die beeindruckende Erscheinung die Sprache. Dann erinnerte sie sich daran, weshalb sie am Tisch saß.
»Ach so, ja – danke«, stammelte sie. Das grüne Tableau mit den verwirrenden Zahlenreihen irritierte sie, also imitierte sie einfach die Aktion ihrer Nachbarin, deren sorgfältig manikürte Hand einen Turm von Chips auf das schwarze
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