Natürliche Selektion (German Edition)
nach dem Rundgang zu Damien. Die Journalistin vom ›Figaro‹.
»Das hoffe ich wirklich, Madame. Ein wenig Aufklärung hat noch nie geschadet in diesem Land, nicht wahr?«
Sie lachte. »Ich bin ziemlich sicher, dass diese schöne Ausstellung den Verschwörungstheorien des Boulevards endgültig den Garaus macht.«
Wenn sie das sagte, konnte er sicher sein, dass der Bericht im ›Figaro‹ morgen in seinem Sinne ausfallen würde. »Ganz meine Meinung«, lächelte er zufrieden.
Er nahm eines der Gläser mit Weißwein vom Tablett, mischte sich unter die Gäste. Geduldig und ausführlich beantwortete er jede Frage, ließ keine Gelegenheit aus, den eigentlichen Zweck der Veranstaltung subtil zu erwähnen.
Er bemerkte den Journalisten des ›Parisien‹, der die wilden Gerüchte um den Tod der beiden Forscher als Erster gestreut hatte. Der Reporter sah ihn selbstverständlich auch, zog es aber vor, einer Diskussion mit ihm aus dem Weg zu gehen. Auch gut, der Mann war sowieso erledigt, dachte der Professor und trank einen Schluck auf das journalistische Ableben des Alain Chevalier.
Lido Di Venezia, Venedig
Prickelnden ›Veuve Clicquot‹ à discrétion, Kaffee in schweren Silberkannen und ein Butler neben dem Tisch zum Frühstück. Ungewohnt für sie beide, aber durchaus der noblen Adresse des Grand Hotel des Bains angemessen. Das Hotelboot hatte sie am Abend zuvor durch die Lagune von Venedig zum Lido gebracht, jener langgestreckten, schmalen Insel, die nicht zuletzt als luxuriöser Schutzwall der Serenissima gegen das offene Meer diente. Michel hatte seine Geliebte richtig eingeschätzt. Ihr heiter gelöster Gesichtsausdruck verriet, dass sie sich hier wohlfühlte. Der morbide Charme der Belle Époque widerspiegelte sich vorteilhaft in ihrer Stimmung. Selten hatte er sie so locker, geradezu dekadent cool erlebt. Nicht einmal Damiens Anruf gestern am späten Abend, mitten im Vorspiel, entlockte ihr mehr als die Bemerkung: »Das Türchen wäre jetzt offen.«
Seit Lyon meinte es der Wettergott gut mit ihnen. Schon jetzt, am frühen Morgen, wärmte die Frühlingssonne auch hier die Terrasse des Restaurants. Von ihrem Tisch an der Brüstung überblickten sie einen Teil des üppigen Gartens, in dem der Hotelpalast kurz vor Eröffnung der Saison vor sich hin schlummerte. Der herbe Geruch der Pinien und taufrischen Gräser gesellte sich zum Duft des Kaffees, und die Insekten summten, als gälte es, den Balzgesang der Vögel zu übertrumpfen. Der perfekte Ort für die letzte Station ihrer Reise in den Süden.
Es war ein Vergnügen, Leo beim Versuch zuzusehen, die kleinen Croissants mit dem stumpfen Messer der Länge nach in der Mitte durchzuschneiden, um noch mehr Butter auf das Buttergebäck zu streichen. »Brauchst du das Skalpell?«, lachte er, als sie aufgab und das Brötchen kurzerhand entzweibrach.
Sie biss ein Stück ihres Kunstwerks ab und kaute genüsslich, bevor sie antwortete: »Ein Messer würde mir genügen.« Nach einem weiteren Bissen hielt sie plötzlich inne und fragte: »Was wollte eigentlich dein alter Professor gestern Abend?«
»Ach ja, ich hatte gestern keine Gelegenheit mehr, dir die gute Nachricht weiterzugeben.«
»Nein, hattest du nicht, das stimmt«, nickte sie verständnisvoll.
Grinsend erzählte er ihr von Damiens Coup mit der Fotoausstellung. »Der ›Figaro‹ hat die Dinge wieder ins rechte Licht gerückt, sagt er.«
»Meinst du, dein Freund vom ›Parisien‹ wird sich nun beruhigen? Keine Reporter mehr in der Klinik und vor der Haustür?«
Er nickte, doch wirklich überzeugt war er nicht. Es gab noch zu viele Ungereimtheiten. Wie kamen diese Schleimpilze ins Gehirn der beiden Opfer? Antwort auf diese und viele andere Fragen erhoffte er sich von der Aussprache mit dem Spezialisten, dem er die Probe geschickt hatte. Noch zwei Stunden, dann hätte er endlich Gewissheit.
Sie musterte ihn nachdenklich. »Du scheinst der Sache nicht zu trauen«, stellte sie lapidar fest.
»Bald werden wir mehr wissen.«
Sie trafen Dottore Roberto Lombardi im Foyer des Palazzo del Cinema. Der Biologen-Kongress mit dem Titel ›Synthetic Life‹ fand im gleichen, hässlichen Gebäude statt, wo alljährlich im September die Goldenen Löwen für die besten Filme, oder was die Jury dafür hält, vergeben werden.
Der Mikrobiologe führte sie an einen Tisch abseits der belebten Bar.
»Roberto, vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast für diese etwas exotische Untersuchung. Du hast was gut bei
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