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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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Stahlgitter, das den Zugang zur ASN, der Autorité de Sûreté Nucléaire, versperrte. Seine vermeintlichen Verfolger fuhren vorbei. Erleichtert und gleichzeitig beunruhigt über seine offensichtliche Paranoia tippte er den Zugangscode ein. Kaum hatte er die letzte Ziffer eingegeben, sah er ihre dunklen Schatten in den Augenwinkeln. Er fuhr entsetzt herum, während das Tor mit einem metallischen Klick aufsprang. Instinktiv duckte er sich, hielt die Mappe vors Gesicht, als müsste er Schläge abwehren. Aber da war niemand, der hätte zuschlagen können. Einzig eine alte Frau mit Kinderwagen schaute ängstlich in seine Richtung. Merde, so geht es nicht weiter , dachte er verstört. Er musste den Termin bei Leo vorverlegen, ihr reinen Wein einschenken. Es wird doch wohl irgendeine verfluchte Pille gegen diese Halluzinationen geben! Das Tor schloss sich wieder. Er stand auf sicherem Boden, holte ein paar Mal tief Luft, um seinen Puls zu beruhigen, dann betrat er das Gebäude.
    Die Sitzung hatte schon begonnen. »Tut mir leid, Monsieur le directeur«, entschuldigte er sich. »Mein Wagen hat mich im Stich gelassen, ich musste den Zug nehmen.«
    »Öffentlicher Verkehr, Sie Ärmster«, lächelte der Direktor. »Da haben wir doch alle vollstes Verständnis, nicht wahr?«
    Er verzichtete auf eine geistreiche Antwort und die sarkastischen Scherze, mit denen er sonst solche Sitzungen auflockerte, nickte lediglich höflich und wartete, bis man ihm das Wort erteilte. Er hörte nur mit halbem Ohr zu, während die vier Ressortleiter das Inventar der eingegangenen und ausstehenden Berichte der AKWs besprachen. Immer wieder fragte er sich, was diese beklemmend realistischen Wahnvorstellungen bedeuteten.
    »Dr. Fournier?« Die Stimme des Direktors riss ihn aus seinen Gedanken. Er klappte das Dossier mit seinen Notizen auf, das in einer weiteren schlaflosen Nacht entstanden war, und begann mit seinen Ausführungen:
    »Messieurs, Sie haben die neue Planung mit der Einladung zu dieser Sitzung erhalten. Bevor ich die Aktivitäten im Einzelnen durchgehe, muss ich eine wichtige Ergänzung anbringen.« Meister, die Arbeit ist fertig, kann ich sie gleich flicken? , schoss ihm durch den Kopf, doch er unterließ den selbstironischen Kommentar. »Die Information, die mich dazu bewogen hat, den Plan noch einmal anzupassen, ist leider erst nach Versand der Unterlagen eingetroffen. Es geht um die Betriebsgenehmigung der neuen Gaszentrifugen der Wiederaufbereitungsanlage von Eurodif bei Tricastin. Sie wissen, dort will man die alten, Strom fressenden Gasdiffusionsanlagen so schnell wie möglich durch Zentrifugen ersetzen.«
    »Die sollen doch erst in zwei Jahren produktiv werden«, warf der Direktor irritiert ein.
    »Eben nicht. Der Bau der ersten Kaskade konnte wesentlich schneller abgeschlossen werden als geplant. Ein wichtiger Zulieferer von Hochdruckdichtungen, der ohnehin schon auf dem kritischen Pfad des Plans stand, ist ganz ausgefallen. Daher musste das Baukonsortium auf Plan B umsteigen und den teureren Anbieter einschalten, dessen Offerte sie damals abgelehnt hatten. Dieser Konzern konnte sofort liefern. Paradoxerweise führt dieser Wechsel nun zu einer verkürzten Bauzeit. Eurodif will sechs Monate früher in den Testbetrieb.«
    Er wartete auf Kommentare oder Fragen der Teilnehmer, doch keiner meldete sich. Also fuhr er fort: »Nun sind wir plötzlich auf dem kritischen Pfad, Messieurs. Wir müssen die Inspektion wohl oder übel noch in diesem Jahr durchführen.« Der Verantwortliche für den Südost-Sektor schüttelte verärgert den Kopf. Patrick wusste, was ihn beschäftigte und sprach schnell weiter, bevor er seine Einwände vorbringen konnte: »Es ist mir völlig klar, dass dies nicht ohne eine mindestens teilweise Neuplanung der Ressourcen geht. Ich schlage daher folgenden Tausch vor.« Diplomatisch zwar, aber mit zwingender Logik, erläuterte er seine Absichten. Er hatte die Fachverantwortung für alle Sicherheitsaspekte der französischen Nuklearanlagen, aber er war auf das Personal der Regionaldirektoren und Ressortleiter angewiesen.
    Wie erwartet, einigte man sich nach langer Diskussion auf nichts anderes, als was er vorgeschlagen hatte. Er war gerade dabei, das Resultat der Besprechung fürs Protokoll zusammenzufassen, als es klopfte. Die Tür öffnete sich und seine Sekretärin trat ins Sitzungszimmer.
    »Excusez moi, messieurs«, hauchte sie verlegen und flüsterte ihrem Chef ins Ohr: »Es sind neue Unterlagen zu Eurodif

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