Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
Vom Netzwerk:
Legoklötzchen«, murmelte sie nachdenklich. »Wie kommt das Gift denn in Michels Hirn?«
    »Das habe ich mich auch gefragt.« Er verscheuchte einen besonders frechen Spatz vom Tisch.
    »Und, haben Sie die Antwort?«, drängte sie.
    Er zuckte die Achseln. »Vielleicht. Es ist natürlich nur eine Hypothese, aber mir fällt wirklich keine andere Erklärung ein. Ich glaube ...« Wieder wischte er den hartnäckigen Vogel weg. »Ich kann es mir nur so erklären, dass die RNA zu einer Art Droge verarbeitet wurde, die Ihr Freund und seine Gefährten eingenommen haben – aus was für Gründen auch immer. Oder ...« Er zögerte. »Oder sie ist ihnen eingepflanzt worden, was ich für wahrscheinlicher halte.«
    Die Enthüllung traf sie nicht völlig unvorbereitet. Sie hegte den gleichen Verdacht, seit sie von den maßgeschneiderten biologischen Bauklötzen erfahren hatte. Trotzdem schluckte sie leer und konnte eine Weile nicht antworten. Der Schock saß tief. Michel nahm Drogen? Undenkbar, das hätte sie merken müssen. Sie, als ausgewiesene Spezialistin für solche Fälle. »Psychopharmaka?«, fragte sie schließlich tonlos.
    »Indirekt, ja, oder schlimmer, wie Sie wollen. Das Produkt, wie immer wir es nennen, ist eine winzige Fabrik für bestimmte psychoaktive Substanzen. Die RNA erfüllt zwei Aufgaben, wie wir bis jetzt festgestellt haben. Einerseits wirkt sie wie ein Schalter, mit dem einzelne Gene ausgeschaltet werden. Sie ist also eine Art epigenetische Erweiterung, wobei wir noch nicht wissen, welche Funktionen damit beeinflusst werden. Andererseits, und das wissen wir genau, verstärkt diese RNA die Wirkung des NR2B Gens durch Exprimierung oder Genexpression, wie wir den Vorgang nennen.«
    Das Stichwort elektrisierte sie. Dieses Gen kannte sie gut. Es war sozusagen der Hauptdarsteller in Michels Doktorarbeit als Neurologe. »NR2B, der Universalschalter für Gedächtnis und Lernfähigkeit!«, rief sie erregt.
    Er nickte ernst. »Ganz genau. Es sieht so aus, als wollte jemand die Hirnleistung dieser Männer dauerhaft verbessern.«
    »Das ist ihnen auch gelungen – vorübergehend«, knurrte Leo bitter. »Aber wer tut so was, und warum?«
    Wieder zuckte Lombardi die Achseln. »Keine Ahnung, Signora, tut mir leid. Unsere Spur führt nur zu den Herstellern der Legosteine.«
    Das durfte alles nicht wahr sein. Sie konnte nicht glauben, was sie gehört hatte, und doch machte die Erklärung des Biologen Sinn. Sehr viel Sinn sogar, wenn sie an die vielen kleinen Episoden zurückdachte, bei denen Michel sie mit seinen Fähigkeiten verblüfft hatte. »Wenn ich wenigstens wüsste, wer die Droge hergestellt hat«, murmelte sie zutiefst enttäuscht.
    Plötzlich schlug sich Lombardi mit der flachen Hand auf die Stirn und rief: »Ich Dummkopf! Dass ich nicht früher daran gedacht habe.« Er zog sein Telefon aus der Tasche, suchte fieberhaft nach einer bestimmten Nummer und drückte die Wähltaste. Er hielt das Handy eine Zeitlang schweigend ans Ohr, dann klappte er es zu. »Mailbox«, brummte er gereizt. »Ich kenne einen Kollegen, der einige Zeit bei der Firma in Deutschland gearbeitet hat. Vielleicht weiß er etwas. Er will allerdings am Wochenende nicht gestört werden, wie es scheint.« Noch während er sprach, tippte er mit atemberaubender Geschwindigkeit einen Text ins Telefon. »Vielleicht kann ich ihn per Mail erreichen. Früher war er ständig online, antwortete immer schon bevor man die Nachricht geschickt hatte.«
    Neue Hoffnung keimte auf. Ungeduldig wartete sie auf den Piepser, der die Antwort signalisieren würde. Eine Tasse Kaffee später war es endlich soweit. »Nun, was sagt er?«, fragte sie erwartungsvoll.
    Sein zufriedenes Gesicht war schon die halbe Antwort. Er gab ihr das Handy und sagte: »Glück gehabt. Hier, lesen Sie selbst.«
    Lombardis Kollege erinnerte sich genau an den ungewöhnlichen Auftrag. Der Kunde, der diese komplizierte RNA-Sequenz bestellt hatte, war niemand Geringerer als der Pharmariese Remedis mit Hauptsitz in Basel. Na also , dachte sie erleichtert. »Darf ich die Mail an meine Adresse weiterschicken?«, fragte sie und tippte auch schon ihre Adresse ein.
Butte Aux Cailles, Paris
    Leo verstand sich selbst nicht mehr. Nachdem sie ihren Anwalt im Krieg gegen die Zeitung eingeschaltet hatte, kämpfte sie nun an vier Fronten gleichzeitig. Sie müsste abends eigentlich nur noch todmüde ins Bett fallen, aber je mehr Probleme auf sie einstürzten, desto verbissener wurde ihr Widerstand. Sie blühte

Weitere Kostenlose Bücher