Natur
Aufmerksamkeitserholungstheorie und das physiologische Modell der emotionalen Reaktion schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich: Die Erholungswirkung von Natur beruht auf der Senkung eines zu hohen Erregungsniveaus (Laumann et al., 2003). Im entspannten Zustand unter Vorherrschaft des Parasympathikus kann man sich schneller von mentaler Ermüdung erholen.
Erholsame Umwelten
Das Konzept der erholsamen Umwelt (restorative environment) stellt eine Erweiterung der Aufmerksamkeitserholungstheorie dar, die sich in erster Linie auf den Faktor der Faszination stützt. Erholsame Umwelten besitzen folgende Qualitäten (Kaplan, 1995):
• sie sind faszinierend
• sie bieten ein psychisches Weit weg sein vom Alltag (being away)
• sie vermitteln den Eindruck von Ausdehnung und Weite (extent)
• sie werden als zu den eigenen Absichten passend erlebt (compatibility).
Erholsame Umwelten sind nicht nur für kranke Menschen, die wieder gesund werden möchten, segensreich, sondern für die sehr große Gruppe all derjenigen, die Stress erleben oder nach einer Phase der Beanspruchung müde und erschöpft sind.
Being away
Being away meint bewusstes Entfernt sein vom Alltag und dessen Anforderungen und Restriktionen. Es ist nicht nur im räumlichen Sinne gemeint, sondern bedeutet auch, in einer anderen Welt zu sein, die von der Alltagswelt grundverschieden ist. Die räumliche Entfernung korreliert zwar mit der Andersartigkeit, inwieweit jedoch «das Anderswo» räumlich weit weg ist, ist eher nebensächlich.
Auf einen wichtigen Aspekt der Andersartigkeit hat Wohlwill (1983) hingewiesen: Während des Aufenthalts in der Natur ist es nicht erforderlich, responsiv zu sein; man muss nicht ständig mit anderen interagieren und kommunizieren, wie es im normalen Alltagsleben meistens verlangt wird. In der Natur kann man dem «Sozialstress» entgehen und vollund ganz Einzelwesen sein, ohne sich einsam zu fühlen. Man ist der Last fortwährender sozialer Beziehungen und der Erwartungen der anderen enthoben.
Die Hinwendung zur Natur kann eine unbewusste Strategie sein, um traumatisierenden Situationen zu entkommen 25 .
Neben der Differenzierung zwischen dem räumlichen und dem psychologischen being away trägt die Unterscheidung zwischen Push- und Pull-Faktoren zur Strukturierung bei. Push meint das Streben, an einen anderen Ort zu gelangen, weil man es dort, wo man ist, unangenehm und belastend findet, wohingegen Pull bedeutet, dass es einen zu einem bestimmten Ort hinzieht. Dementsprechend hat Hammitt (2000) unterschieden zwischen
• dem being away- from
• dem being away- to.
Hammitt hat Besucher von vier Waldparks in Cleveland/Ohio befragt, um herauszufinden, welches der beiden Motive, das being away-from oder das being away-to, überwiegt. Die statistische Auswertung ergab, dass es drei Motive bzw. Faktoren gibt und zwar einen being away-from- und zwei being away-to- Faktoren. Der erste Faktor wurde interpretiert als Weitwegsein von der alltäglichen Routine. Der zweite Faktor repräsentierte das Verlangen nach nicht-alltäglichen Orten wie der Natur und anderen «Ruhe-Inseln». Der dritte Faktor wurde als Wunsch nach Orten, die frei vonAufgaben und Anforderungen sind, gedeutet. Das being away-to umfasst somit zwei Aspekte: zum einen das Verlangen nach Abwechslung, zum anderen das Freisein von Verpflichtungen und Anforderungen. Es zeigte sich, dass die Besucher der Naturparks primär dorthin kommen, weil sie die Natur positiv erleben und weniger, um dem Alltag mit seinen Anforderungen zu entfliehen. Die Parkbesucher sind keine Wegstrebenden, sondern vor allem Hinstrebende. Naturumwelten sind also nicht nur «Fluchtgebiete», sondern Umwelten, die bewusst aufgesucht werden, um dort Ruhe und Frieden zu haben und sich ungestört und frei von Pflichten und Aufgaben zu fühlen.
Das Ergebnis, dass es in erster Linie Pull-Faktoren sind, die die Menschen in die Natur streben lassen, lässt sich jedoch nicht ohne weiteres generalisieren. Denn welches Motiv jeweils überwiegt, dürfte wesentlich von der Ausgangs- sowie der Gesamtsituation abhängen. Ist die Ausgangslage ungünstig, weil z. B. die Lärmbelastung in der alltäglichen Umwelt sehr hoch ist, wird das Streben, von diesem Ort wegzukommen, das vorherrschende Motiv sein. Aus einer verlärmten Welt, in der die Kommunikation beeinträchtigt wird, in der man sich nicht konzentrieren kann, in der man spürt, dass man nichts zustande bringt, flieht der Mensch in die
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