Natur
bekam Bilder mit Naturszenen vorgeführt, die andere Gruppe Bilder mit städtischen Szenen. Auf den Naturbildern waren Seen, Flüsse, Hügel, Bäume und Pflanzen zu sehen, Inhalte der städtischen Szenen waren Straßen, Fabriken und Gebäude. Die Phase dauerte sechs Minuten. In der Nachher-Phase wurde erneut der Test aus der Vorher-Phase eingesetzt. Bei dem Vergleich der beiden Phasen kam die erholende Wirkung der Naturbilder deutlich zum Ausdruck. Bei der Gruppe, die die Naturbilder gesehen hatte, waren die Reaktionszeiten kürzer und die Zahl richtiger Antworten höher.
In einem zweiten Experiment wollte Berto klären, ob es unbedingt Naturbilder sein müssen oder ob nicht generell Bilder, deren Betrachtung nicht mental anstrengt, eine vergleichbare Wirkung haben. Vorgegangen wurde wie im ersten Experiment, es wurden lediglich anstelle der Bilder mit Naturszenen farbige geometrische Muster dargeboten. Das Ergebnis war eindeutig: Bilder mit solchen Mustern sind zwar nicht mental anstrengend, aber eben auch nicht erholend, sie faszinieren nicht.
Dieses Ergebnis besagt, dass Naturkontakte ein Mittel sein können, um Konzentrationsstörungen zu therapieren. Insbesondere bei chronischen Störungen der willkürlichen Aufmerksamkeit müssten faszinierende Naturumwelten von Nutzen sein. Dieser Frage sind Taylor, Kuo & Sullivan (2001) nachgegangen. Sie widmeten sich dem Problem des Attention Deficit Disorder (ADD). Nach Schätzung der Forscher leiden etwa 3 bis 7% der Schulkinder an chronischen Störungen der Aufmerksamkeit. Die Folgen des ADD sind schlechte schulische Leistungen, ein negatives Selbstbild und gestörte soziale Beziehungen innerhalbder Familie und zu Gleichaltrigen. Konkrete Symptome des ADD sind: das Kind
Abbildung 2-15: Neckerscher Würfel
• kann sich nicht auf seine Schul- oder Hausarbeiten konzentrieren
• bringt Aufgaben nicht zu Ende
• kann nicht zuhören und Anweisungen folgen
• ist leicht ablenkbar.
Darüber hinaus führt das ADD zu Entwicklungsverzögerungen. So ist der Entwicklungsstand eines 10-jährigen Kindes mit ADD etwa mit demjenigen eines 7-jährigen Kindes ohne ADD vergleichbar.
Die Symptomatik ist unterschiedlich stark. Es könnte also sein, dass Kinder mit einem starken Defizit besonders wenig mit Natur in Berührung kommen. Taylor und Mitarbeiter haben diese Hypothese bestätigt. Dabei gingen sie so vor, dass sie die Eltern 7- bis 12-jähriger Kinder mit ADD ausführlich interviewten. Die Eltern sollten bis zu zwei Freizeitaktivitäten des Kindes nennen, die sich aus ihrer Sicht positiv, also ADD mindernd, auswirken, sowie bis zu zwei Aktivitäten mit vermutlich negativen Folgen.
Insgesamt 96 Fragebögen, die Eltern von Kindern mit ADD ausgefüllt hatten, wurden ausgewertet. Hinsichtlich der Minderung der ADD Symptomatik wurden 113 günstige und 106 ungünstige Aktivitäten genannt. Diese günstigen und ungünstigen Aktivitäten haben Taylor et al. drei Umgebungen zugeordnet (vgl. Tabelle 2-2 ).
Tabelle 2-2: Günstige und ungünstige Umgebungen in Bezug auf die ADD Symptomatik (Taylor et al., 2001, S. 64)
Bei den Aktivitäten Fernsehen und Computerspiele überwiegt die Einschätzung, dass sie ADD verstärken. Diese Aktivitäten finden üblicherweise in Innenräumen statt. Aktivitäten, die in der freien Natur stattfinden, wird weit überwiegend eine günstige Wirkung zugeschrieben.
Im anschließenden Interviewteil sollte von den Eltern auf einer Skala die Schwere der Symptomatik und das Vorhandensein grüner Natur («greenness») in der Wohnumgebung eingestuft werden. Die Einordnung auf der Grün-Skala wurde ihnen dadurch erleichtert, dass Fotos von Umwelten vorgelegt wurden, die sich hinsichtlich des Ausmaßes an grüner Natur unterscheiden. Die Eltern konnten sich anhand der Bilder orientieren und unter diesen das für sie zutreffende auswählen. Das Ergebnis war, dass die Schwere der Symptomatik mit den Wohnumgebungsmerkmalen korreliert: Bei den Kindern, in deren Wohnumgebung es Bäume und Grasflächen gab, war die Symptomatik schwächer.
Nach den Recherchen von Taylor und Mitarbeitern sind medikamentöse Behandlungen des ADD entweder nicht besonders wirkungsvoll oder haben unerwünschte Nebeneffekte. Auch verhaltenstherapeutische Methoden haben keinen spürbaren Erfolg. Umso mehr stellt sich die Frage nach einer «Natur-Therapie». Die Aufmerksamkeitserholungstheorie weist den Weg zu einem Erfolg versprechenden neuen therapeutischen Ansatz.
Die
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