Naturgeschichte(n)
trotzdem Kinder zu bekommen. In der Natur gab es so hochwertige Pflanzenkost jedoch nicht oder nur in so geringen Mengen, dass es lange dauerte, bis die Mütter genügend Proteine als Vorrat in ihren Körpern angesammelt hatten, um ein Baby damit zu ernähren. In der tropisch-afrikanischen Urheimat des Menschen würden vegetarisch lebende Menschen innerhalb kürzester Zeit verhungern. Die Natur dort enthält zu wenig leicht Verdauliches und Proteinreiches.
Aber ein anderer Punkt ist noch viel wichtiger: Bei der Entstehung des Menschen ging es keineswegs allein darum, mehr Kinder als die Menschenaffen zur Welt zu bringen. Das, was den größten Unterschied zu unseren haarigen Vettern ausmacht, ist unser Gehirn. Dreimal so groß ist es geworden, als unserer Körpergröße zukäme, wären wir Menschen Menschenaffen geblieben. So aber stieg seine Größe von etwa 400 auf 1300 bis 1600 Kubikzentimeter.
Dass wir mit unserem großen Gehirn denken und intelligent handeln können, setzen wir als typisch für den Menschen voraus. Doch dieses menschliche Gehirn ist » teuer«. Schon im Normalbetrieb verbraucht es etwa 20 Prozent der Energie, die in unserem Körper umgesetzt wird, obwohl es gerade einmal zwei Prozent unserer Körpermasse ausmacht. Bei der Geburt verursacht es größte Schwierigkeiten, weil das Köpfchen des Kindes eigentlich viel zu groß ist. (Der Rest des Babys muss klein und hilflos bleiben, damit es überhaupt zur Welt kommen kann.) Und das alles wäre nicht so, wären unsere fernen Vorfahren Vegetarier geblieben. Denn für den Aufbau des übergroßen Gehirns des Kindes benötigt die Mutter die dafür unerlässlichen Proteine und Fette. In der Pflanzenkost sind sie rar, im Knochenmark und im Fleisch von Großtieren oder auch in Fisch- und Muschelfleisch dagegen reichlich vorhanden.
Auch in den Jäger- und Sammlerkulturen der Steinzeit hing die Lebensweise übrigens ganz entscheidend vom Jagderfolg ab – nicht davon, ob es Kräuter und Beeren gab. (Die taugten für das Wild, hinter dem die Menschen der Steinzeit her waren.) Unser naher Verwandter, der Neandertaler, war wahrscheinlich ein sehr ausgeprägter Fleischesser. Er hatte eine kräftige Körperstatur und würde in unserer heutigen Welt gar nicht sonderlich auffallen. Mangelerscheinungen verursacht eine auf Fleisch ausgerichtete Nahrung nicht, wenn sie entsprechend pflanzlich ergänzt wird. Das zeigten beispielsweise die Gauchos auf der Pampa, die fast nur von Rindfleisch und Mate-Tee lebten.
Daher können wir ziemlich sicher annehmen, dass der Mensch ohne den Wechsel von pflanzlicher zu tierischer Kost nicht zum Menschen geworden wäre – und ohne proteinreich gezüchtete Pflanzen als Vegetarier nicht überleben könnte.
Der Neandertaler
und der clevere Menschenaffe
Warum fällt dem Menschen das Gebären so schwer?
Die Evolution strebt eigentlich stets die beste Lösung, das Optimale an. Warum ist dann ausgerechnet die Geburt des Menschen so kompliziert und schmerzhaft, mitunter sogar lebensgefährlich für Mutter und Kind? Der Grund für die Schwierigkeiten ist der Kopf des Babys. Er ist einfach zu groß für eine »normale«, weniger schmerzhafte Geburt, wie sie bei den Menschenaffen und anderen Säugetieren vor sich geht. Hätten wir keinen derart großen Kopf, wäre unser Eintritt in die Welt viel einfacher. So aber muss sich das Kind in komplizierter Weise drehen, bis das Köpfchen durch den engen Knochenring des Beckens passt.
Was dabei geschieht, würde übrigens zu einem Schädelbruch führen, wenn die Schädelknochen schon fest miteinander verwachsen wären. Deshalb gibt es auch beim Menschen von Natur aus recht unterschiedlich geformte Köpfe. Nach der Geburt bleibt der Schädel noch eine Weile formbar. In manchen Kulturen war es sogar üblich, durch Umwickeln Langschädel mit stark betontem Hinterkopf zu erzeugen.
Auf den ersten Blick praktischer wäre es, könnte man denken, wenn der Kopf bis zur Geburt kleiner bliebe und danach erst weiterwüchse, wie es bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, der Fall ist: Das Köpfchen passt bei ihnen gut durch die Geburtsöffnung. Die Geburt verursacht gewöhnlich keine Komplikationen, und die Neugeborenen sind weit weniger hilflos als Menschenbabys. Eine optimale Lösung also – für Menschenaffen! Nicht aber für den Menschen. Sehen wir uns beispielsweise ein Schimpansenbaby näher an. Sein Gehirn wächst bis zum Erwachsenenalter nur auf gut das Doppelte der Geburtsgröße
Weitere Kostenlose Bücher